Theater VR

Grosse digitale Pläne fürs Kleintheater

Am Kleintheater Luzern lernten Theaterleute von Digitalkünstlern und IT-Expertinnen der HSLU, wie sie Virtual Reality in ihre Arbeit integrieren können. Anfangs April lassen sie ihr Publikum das erste Mal in eine virtuelle Bühnenwelt eintauchen.

Vor 16 Jahren verschüttete eine Lawine Claudia Tolusso. Zehn Minuten lang lag die gebürtige Luzernerin unter eineinhalb Meter Neuschnee begraben. Seither überlegt sich die Theater-Ausstatterin und Raumkünstlerin, wie sie die traumatische Erfahrung als Kunst erfahrbar machen kann. Wie und mit welchen Mitteln vermittelt man das Gefühl, unter Schnee zu liegen und nicht zu wissen, ob man gerettet wird?

Die Antwort fand Tolusso im Herbst 2021 an einem Virtual-Reality-Workshop am Kleintheater Luzern. Ein Forschungsteam der Hochschule Luzern bot hier einen Überblick über den Stand der Technik und deren Handhabung. «Ich wollte die Technologie kennenlernen, die so viele junge Leute anspricht», sagt Tolusso, die an der Kunstschule Liechtenstein Szenografie lehrt. «Für mich war es besonders interessant zu erfahren, wie man Virtual Reality für künstlerische Arbeiten nutzen kann.»

Mit der VR-Brille in die Lawine eintauchen

Im Workshop entwickelte Claudia Tolusso die Idee, ihr Lawinenerlebnis in einem 360°-Film zu erzählen, bei dem die Zuschauenden – ausgestattet mit einer VR Brille – virtuell im Schnee liegen. «Sie erleben eine Mischung aus abgeschottet sein von der Aussenwelt und Verbundenheit mit dem Raum, den ich ihnen zeige», sagt sie, «das schien mir für meinen Fall perfekt.»

Zusammen mit anderen Künstlerinnen und Künstlern lernte Tolusso nach dem Workshop in einem VR-Labor, wie die Technik für eine Inszenierung genutzt werden kann. Ihr 360°-Film und die restlichen Arbeiten werden nun Anfang April am Festival «Umprogrammiert» im Kleintheater der Öffentlichkeit gezeigt. Neben dem Film sind etwa VR-Installationen zu sehen, die mit dem Mix von echten und virtuellen Gegenständen spielen; eine Gruppe lässt Elemente aus Performance, Sounddesign und Informatik in die Arbeit einfliessen.

Die virtuelle Bühne ist anders

Workshop und Labor sind Teil des Forschungsprojektes «Virtual Reality im Theater» der HSLU und des Kleintheaters Luzern, die der Bund mit einem «Inno-Check» in der Höhe von 15’000 Franken unterstützt. Das Forschungsteam um Virtual Reality Forscher Dario Lanfranconi und Digitalkünstler Simon de Diesbach, beide von der Hochschule Luzern, bietet Künstlerinnen und Künstlern einen Einblick ins Potenzial der Technologie. Die Forschenden haben die Räume des Kleintheaters auch als 3D-Modelle nachgebildet, so dass diese in der virtuellen Realität bespielt werden können.

Lanfranconi und de Diesbach begleiten den Entstehungsprozess der Stücke wissenschaftlich. Ziel ist, längerfristig eine Toolbox zu entwickeln, die Theaterleute das nötige Wissen vermittelt, damit sie VR ganz selbstverständlich nutzen können, wenn es ihnen künstlerisch geboten scheint. Die von ihnen betreuten Künstlerinnen und Künstler hätten in den letzten Monaten viel gelernt, «zum Beispiel, dass sich nicht alle Projektideen so umsetzen lassen, wie sich die Teilnehmenden dies zu Beginn ausmalten», sagt Dario Lanfranconi. Mit der wachsenden Kenntnis der Technik sei auch das Verständnis für deren Einsatzmöglichkeiten gewachsen.

Blumen für die Verschütteten

Auch Claudia Tolusso brauchte im VR Lab mehrere Anläufe, bis sie das richtige Konzept für ihren 360°-Film gefunden hatte. «Zuerst wollte sie eine realistische Szene mit einer Snowboard-Fahrerin in den Bergen einbauen», erinnert sich Simon De Diesbach, der Tolussos Arbeit coacht. Der Forscher konnte sie davon überzeugen, dass ein abstrakter künstlerischer Ansatz besser geeignet ist als ein realistischer: Nach dem ersten grossen Schrecken erlebte Claudia Tolusso im Schnee eine tiefe Ruhe und Stille. Gefühle, die sie nach ihrer Rettung fast vermisste, wie sie sagt, und die sie dem Publikum nun mit ihrem Film unbedingt vermitteln will.

Zusammen mit De Diesbach fand sie schliesslich eine Lösung: Sie platzierte eine 360°-Kamera in einer kleinen durchsichtigen Plastikkugel. Weiche, angenehme Materialien wie Stoff, Pelzstücke oder Blumen wirbeln im Innern der Kugel herum und kontrastieren mit dem klaustrophobischen Raum. Betrachtet man die Aufnahmen durch die VR Brille, entsteht das Gefühl, man sei umgeben von Blüten und Federn. «Die Plastikkugel war Tolussos Idee», sagt Simon De Diesbach, «ich war erst skeptisch, aber sie hatte recht: Das vermittelt die von ihr beschriebene Gelassenheit sehr gut.»

Theater VR

«Unser Haus muss sich neue Expertisen aufbauen»

Neben den VR-Arbeiten werden im Rahmen von «Umprogrammiert» auch andere Spielarten von Digitalität im Theater wie App-basierte Spiele oder Videos on Demand gezeigt.

Fabienne Mathis stiess auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie zum Team des Kleintheaters. Damals fiel ihr auf, dass das digitale Angebot sehr dürftig war, und so lancierte sie die Digitale Bühne als Raum für Experimente. Insbesondere will sie die lokale Freie Szene befähigen, digitale Technologien für sich zu nützen. «Bisher dominieren in den Diskussionen um den Einsatz von VR die technischen Aspekte. Noch fehlen den Theaterschaffenden das Wissen und die Argumente, wann er aus künstlerischer Sicht geboten ist und wann nicht», erklärt die Projektleiterin.

Aus Claudia Tolussos Sicht war der Einsatz von VR für ihr Projekt die richtige Entscheidung. Sie ist mit dem Resultat zufrieden. Aber sie betont auch: «Das Theater an sich ist schon ein Spiegel der realen Welt. Man muss sich genau überlegen, warum man diese Welt mittels VR ein weiteres Mal spiegeln soll. Die Technik muss sich immer der künstlerischen Idee unterordnen.»

Das Festival «Umprogrammiert» am Kleintheater Luzern

Die VR Projekte der fünf Theatergruppen sind vom 4. bis 10. April 2022 im Rahmen des Festivals «Umprogrammiert» am Kleintheater Luzern, Bundesplatz 14, 6003 Luzern, zu sehen.

Vollständiges Programm und Tickets

Quelle: MM

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