HTC hat mittlerweile schon eine ganze Reihe von VR-Headsets auf den Markt gebracht. Die erste HTC Vive, daran erinnere ich mich sogar, wurde erstmals 2015 am Mobile World Congress in Kooperation mit Valves SteamVR-Projekt gezeigt. Selber war ich damals noch skeptisch, da mich zur «VR-Prä-Ära» auch die erste Entwicklerversion der Oculus Rift noch nicht in ihren Bann zu ziehen vermochte. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich angesichts der unausgereiften Bewegungserkennung und der noch vergleichsweise pixeligen Auflösung noch zu viele Zweifel, ob VR überhaupt im Consumerbereich je an Schwung gewinnen wird. Bis ich dann kurz vor dem Marktstart der HTC Vive und der Oculus CV1 die vorletzte Entwicklerversion der HTC Vive im Rahmen eines Pressevents in Zürich ausprobieren durfte. Ich erinnere mich noch sehr gut, wie mir damals bei einer Vorversion von «Arizona Sunshine» fast die Kinnlade runterfiel: Das neuartige Positionstracking im Raum mit den Lighthouse-Basissstationen und den speziellen Vorab-Controllern der «Vive Wands» verliehen dem Spielerlebnis einen derart futuristischen Charakter, dass ich von diesem Zeitpunkt an wusste: «Oh ja, ich muss so etwas haben», während mir jemand von HTC ins Ohr flüsterte: «Ja, High-End-PC-Spieler dürften sowas haben wollen.»
HTC Vive, HTC Vive Pro, HTC Vive Cosmos, HTC Vive Cosmos Elite …
So wurde denn auch die HTC Vive ab April 2016, direkt nach dem Marktstart, für eine sehr lange Zeit mein treuer VR-Begleiter. Ein kurzer Rückblick in die VR-Geschichte: Die erste HTC Vive verfügte damals über zwei OLED-Displays mit je 1080 × 1200 Pixeln. Der Nachfolger, die Vive Pro, die etwa zwei Jahre später auf den Markt kam, bot eine Auflösung von 1440 × 1600 Pixeln pro Auge. Ich erinnere mich, damals schon mit dem Nachfolger eine deutlich schärfere Auflösung aus nächster Nähe bemerkt zu haben. Einen wirklichen Grund für ein Upgrade sah ich aber aufgrund dieser Nuance für mich nicht. Spätestens, als HTC mit der Vive Cosmos im September 2019 ein «Semi-Pendant» zur Oculus Quest — mit kamerabasiertem Inside-Out-Tracking — angekündigt hatte, dachte ich mir zumindest schon, dass dies meine nächste Brille von HTC sein wird. Mit ihrer sehr scharfen und deutlich helleren LCD-basierten Auflösung von 1440 × 1700 Pixeln pro Auge hat mich die Cosmos trotz ihrer anfänglicher Software-Bugs und Lichtirritationen bei der Umgebungsertastung zum Launch doch sehr überrascht. Das heute immer noch ca. 800 Franken teure blaue Headset ist einer autarken All-in-One-Brille wie der Oculus Quest (ab 499) zwar von der Hardware-Power her deutlich überlegen, kann aber beim Gesamtspektrum, besonders bei der Stabilität der Software, bei der Benutzerführung und dem geringen Support der proprietären Controller, nicht mithalten.
Das fehleranfällige Kamera-Tracking der ersten Cosmos hat sich zwar mittlerweile stark verbessert, doch für Vielspieler empfinde ich den Vorgänger der Cosmos Elite mit seinen klickenden Controller-Tasten nicht die erstbeste Wahl. Glücklicherweise hat HTC für die Enthusiasten, die nach präziser Bewegungsverfolgung im Raum streben, schnell nachgebessert: mit einem neuen Modell und auch mit der Verfügbarkeit einer auswechselbaren Sensor-Faceplate. Besitzer der Cosmos, die ohnehin schon die Laserstationen für die IR-LED-Bewegungsverfolgung der entsprechenden Steuerungseinheiten haben (Valve Knuckles und Vive Wands), können sich seit ein paar Monaten gegen 230 Franken den «External Tracking Mod» mit den integrierten Modulen kaufen. Man hat dann quasi eine umfunktionierte «Cosmos Elite».
Warum alte Hardware mitliefern?
Da sind wir nun also bei der eigentlichen Vive Cosmos Elite angelangt, die man wahlweise für 650 Franken als ein neues schwarzes Headset inklusive der integrierten External Tracking Faceplate oder gleich als Komplettpaket samt Lighthouse-Basestations sowie Vive Controllern für stolze 1100 Franken kaufen kann, wenn man noch kein Lighthouse-Tracking-System und weiteres Zubehör einer anderen SteamVR-Brille besitzt. Bei den Basestations werdet ihr auch im elitären Komplettpaket nur die Basestations der Version 1.0 vorfinden und nicht etwa Version 2.0, wie man sie mit der Valve Index im Komplett-Set erwerben kann. Die Vorteile für den Privatanwender sind jedoch marginal: Die neueren Laserstationen der Version 2.0 trumpfen mit einem erweiterten horizontalen Field of View, bringen aber auch Vorteile, wenn ihr eine grosse Wohnung habt und eine Komfort-VR-Spielzone von bis zu 10 auf 10 Metern einrichten wollt.
Ebenfalls unverständlich, dass HTC bei diesem Paket noch immer die alten Vive Controller mitliefert. Die neuen «Vive Wands», erkenntlich an der blauen Farbe, waren jedoch schon in Komplett-Kits der HTC Vive Pro enthalten. Bei einem späteren Aufrüsten auf die neueren Lighthouse Basestations werden diese Controller nicht mehr funktionieren. In diesem Fall müsste man sich die Keulen von 2018 oder sich die Valve Knuckles zulegen.
Ansonsten hat sich gegenüber dem Einrichtungsprozedere der ersten HTC Vive nichts Grundlegendes geändert. Für alle Newcomer: Ihr benötigt eine freie Zone von mindestens 1,5 auf 2 Metern und solltet die Basisstationen entweder an zwei grossen Fotostativen festmachen oder diese mitttels der mitgelieferten Wandmontagesets fixieren. Ich habe bisher immer zwei Dörr-Kamerastative verwendet und beste Trackingergebnisse bei einer diagonalen Platzierung der beiden Basisstationen erzielt.
Ohne Top-PC nur der halbe Spass
Im Anschluss wird das Headset über eine Kabelbrücke mittels USB 3.0 und DisplayPort 1.2, wie gewohnt, mit dem PC verbunden. Ich würde meinen, es ginge auch mit USB 2.0. Zumindest hat das bei mir mit der Cosmos zuvor auch auf einem älteren Rechner immer geklappt. Getestet habe ich auf einer flotten Maschine mit einem AMD Ryzen 3800X, 16 GB RAM und einer RTX 2080 Ti. Ich erachte übrigens die Minimalanforderungen der Vive-Webseite als reichlich überholt. Um bei der höheren Auflösung und bei neueren Spielen einigermassen flüssige Bildwiederholraten aufrecht zu erhalten, rate ich wärmstens, in eine ordentliche Grafikkarte zu investieren.
Also spart nicht bei der Grafikkarte, wenn ihr euch im Hinblick auf VR etwas Neues gönnt. Bald kommen ja die 3000er-RTX-Karten auf den Markt, die besonders VR-Spielern einen deutlichen Leistungssprung für weniger Geld (als bei einer teuren 2080 Ti) bescheren sollen. Beim Prozessor wählt man einen guten 4- bis 8-Kerner der schnelleren AMD- oder Intel-Garde (wie Core i5 bzw. Core i7 bzw. AMD Ryzen 3X). Aber zurück zur Installation: Das Aufbügeln der Vive Setup Software dauert zwar einige Minuten. Auf meinem frisch aufgesetzten Windows-10-Spielerechner wurde erfreulicherweise für einmal gleich alles erkannt. Das war nicht immer so, vor allem zu Zeiten der «Vive Classic» und Vive Pro, was wohl auch auf Software-Instabilitäten früherer Versionen der Vive-Treiber und SteamVR zurückzuführen war.
Ohne Bass kein Spass
Vom Tragekomfort her sind die Cosmos (Elite) und die PSVR (Test für den PCtipp) bis heute meine Lieblings-VR-Headsets. Zwar präferieren viele Anwender die gut gepolsterte Valve Index. Nicht alle Köpfe sind gleich. So habe ich beispielsweise einen etwas grossen Augenabstand. Rein technisch mag ich zwar die Valve Index aufgrund ihrer adaptiven Frameraten mit bis zu 144 Hz und versetze mich gerne in die volle Immersion mit dem ausgezeichneten Audioheadset, doch verspüre ich mit meinen Nasen- und Stirn-Ausprägungen bei der Index mehr Druckpunkte auf meinem Riechorgan und kann meinen sehr grossen Augenabstand leider nicht einstellen.
Mit der Cosmos Elite kann ich das und verspüre allgemein weniger Druck an Nase und Stirn. Was mir an der Elite auch besser gefällt — gegenüber der Valve Index, Oculus Rift S und Quest: Das Bild ist schon durch die leicht höhere Auflösung von 1440 × 1700 Pixeln gegenüber 1440 × 1600 Pixeln (Vive Pro) deutlich heller und schärfer. Zudem empfinde ich die sogenannten «God Rays» (Lichtschimmer an Linsen) im Vergleich zur Index als fast nicht wahrnehmbar.
Stichwort Audio: Ich freunde mich seit der Vive Pro nicht mit den integrierten Ohrhörern an. Die «Vive On Ears» sind mir persönlich zu leise und zeugen von wenig Pepp im Hoch- und Tieftonbereich. Dabei halfen mir so allerlei Audio-Tweaks nichts. Glücklicherweise kann man die leisen Flüsterer mühelos aus der Kopfschiene herausziehen und über ein frontseitiges kleines 3,5-mm-Klinkenkabel einen Standard-Kopfhörer anschliessen.
Ein Headset für breite Köpfe
Aber kommen wir zum Eigentlichen: zur Spielerfahrung und nochmal zum Komfort: Der Tragekomfort ist für mich ähnlich gut wie damals bei der Vive Pro: Das Headset lässt sich über den gut ausbalancierten Kunststofftragegürtel mit seiner rückseitigen Stellschraube am Kopf befestigen. Der «Sweetspot», also der Bereich, in welchem ihr die vertikale und horizonale «goldene Mitte» eures individuellen Fokus ausmachen ausmachen könnt, fällt leider etwas kleiner aus als bei den anderen PC-VR-Brillen. Das Bild ist für mich auf der Vive Cosmos Elite dennoch gestochen scharf und das Mittendrin-Gefühl gelingt auch durch die lichtabdichtende schwarze Schaumstoffpolsterung. Da bereiten mir selbst VR-Arcade-Klassiker wie der Mechwarrior-Railshooter «Archangel» wieder sehr viel Freude.
Wenn ich von der Valve Index zur Cosmos Elite wechsle, fällt mir bei grafischen VR-Leckerbissen wie «Half Life: Alyx» gleich wieder die scharfe Auflösung auf, da man bei der Elite fast keine Pixel mehr sieht. Ich bin noch sehr gespannt, wie sich die HP Reverb G2 (mit zweimal 2K pro Auge) schlagen wird, da für mich auch bei einem abrupten Wechsel von der Cosmos Elite auf die Pimax 8K Plus mit hochskaliertem 8K doch nicht immer alles «auf den ersten Eintaucher» schärfer wirkt. Meiner Meinung nach hängt ein «gutes VR-Bild» immer von mehreren Faktoren ab: im Wesentlichen von der Linsen- und Displaytechnik und davon, wie gut alles hinsichtlich Helligkeit, Lumineszenz und Kontrasten aufeinander abgestimmt ist. Bei der Cosmos Elite stimmt diese Balance für mich sehr gut. Ein nettes Extra (wie bei einigen der damals ersten Windows-Mixed-Reality-Brillen) ist übrigens die Möglichkeit, den vorderen Part jederzeit um 90 Grad nach oben zu klappen.
Technische Finessen vs. Komfort
Die Index weist mit 135 Grad (statt 110) ein etwas höheres Sichtfeld auf. Bei der Valve-Brille habe ich zwar manchmal den Eindruck, als sei das Mittendrin-Gefühl dadurch noch eindrücklicher, aber so wirklich bewusst wird einem das erst mit einer Ultra-High-End-Brille wie einer Pimax 8K Plus. Allerdings handelt es sich bei der Brille aus Shanghai um ein Enthusiasten-Headset mit zahlreichen Software-Parametern, das schon zu einem Preis von 1000 Franken (ohne Zubehör) ungleich teurer ausfällt. Die höhere Bildwiederholfrequenz kann bei einigen Titeln wie Racing-Simulationen oder aufwendig texturierten First-Person-Abenteuern ein Vorteil sein. Die Texturen werden für mein Empfinden durchaus ein Spürchen flüssiger und weicher dargestellt. Bei vielen Spielen fällt mir das jedoch gar nicht auf.
Wireless – yes!
Im Gegensatz zu anderen PC-VR-Brillen ist mit der Cosmos Elite (wie schon mit der Vive Pro und der ersten HTC Vive) auch kabelloses Spielen via Drahtlos-Adapter mit Intels WiGig-Technik möglich. Im VR-Bereich greift die VR-Funklösung auf den Standard 802.11ad zurück, der ein bis zu 8 Gbit/s schnellen Datenverkehr im 60-GHz-Spektrum ermöglicht. Randnotiz: Ich erinnere mich sogar noch gut daran, als Intel «WiGig» vor sechs Jahren an seiner damaligen Hausmesse in San Francisco erstmals angekündigt hat. Es hätte eigentlich die eierlegende Wollmilchsau für drahtlose Docking-Stations werden sollen. Soweit kam es dann aber doch nicht ganz …
Nun aber zu dem 380-Franken-Adapter: Das Set beinhaltet im Wesentlichen einen Sender und einen Receiver sowie eine WLAN-PCI-Express-Karte, an dem ihr das Funkmodul befestigt. Dazu muss man erst den PC öffnen und die Karte an einem PCI-Express-Slot einbauen. Das ist jedoch keine Hexerei. Wenn ihr noch nie eine solche Karte installiert habt, hilft die Anleitung auf der Vive-Seite. Ist das geschehen, wird an dem Antennenausgang der Karte ein Kabel mit dem sendenden Funkmodul verschraubt. Dieses Modul wird sodann mit einer Halterungsklammer an der Oberseite eines Monitors befestigt. Zur Installation des Receivers am Headset müsst ihr schliesslich die Innenpolster der Vive Cosmos Elite entfernen, um das lange Stolperkabel gegen das kürzere Kabel des Wireless-Receivers zu ersetzen.
Verwirrt war ich zunächst, weil die ganze Geschichte sogar auf die alte HTC Vive ausgelegt ist, da für den Receiver an der Brille mit seiner links- und rechtsseitigen Empfangsausrichtung zwei verschiedene Klett-Befestigungskits mitgeliefert werden. Bei der ersten HTC Vive muss man dazu ein anderes Kabelset in der oberen Front-Panel-Aussparung einschleusen. Ist einmal alles eingerichtet, läuft die softwareseitige Erkennung recht flott. Der letzte Schritt ist die Installation der Vive WLAN App. Diese kommuniziert zwischen dem PC und der Vive Cosmos Elite. Den nötigen Akku für den Receiver, den man per USB nachlädt, macht man am besten am Gürtel fest, was im Pyjama-Betrieb leider nicht immer so gut funktioniert. Der Akku mit einer Kapazität von etwa 10500 mAh hält in der Regel ein bisschen mehr als zwei Stunden. Für ununterbrochenen Wireless-Spielbetrieb befindet sich ein zweites Akkupack im Lieferumfang.
Mein Fazit zum Vive-Wireless-Adapter: Ich habe sehr viel Spass an der vollen Bewegungsfreiheit auf High-End-Niveau. Trotz des hohen Preises empfinde ich den Adapter als echten Mehrwert. Endlich entfällt die Angst, über die lästigen Kabel zu stolpern. Bei einem guten WLAN-AC-Router verhält sich die Empfangsgenauigkeit doch sehr latenzfrei. Kurz: Es ist ein Upgrade, das sich lohnt, wenn man eine Vive Cosmos (Elite), eine Vive Pro oder eine Vive der ersten Generation und einen schnellen WLAN-Router hat. Eine günstigere Alternative für Wireless VR wäre die Variante mit der mobilen Oculus Quest. Dort funktioniert das mittels Sideload und einer «Streamer-App» annähernd so gut. Da wird es spannend, was die Oculus Quest 2 (ab Mitte Oktober) hinsichtlich Bildqualität und optimierter Bildwiederholrate zu bieten hat, denn mit dem deutlich günstigeren Nachfolgemodell für nur 399 CHF (64-GB-Version) und 90 Hz ist eine Rift (S) nicht mehr erforderlich.
Fazit
FazitPROS
- Sehr helles und scharfes Bild (besser als Vive Pro)
- Grosser Augenabstand bis 72 mm (IPD) möglich
- Komfortable Ausstattung mit «Aufklapp»-Mechanismus
- Upgrade-Option für Wireless-Betrieb (für 380 Franken)
- Ein halbes Jahre Vive Port Infinity gratis
CONTRA
- Zu leises Audio-Headset mit wenig Bass und Dynamik
- Vive Wands und Lighthouse Basestations der ersten Generation
- Kleiner Sweetspot, geringeres FOV als Valve Index