Mit «Arizona Sunshine» und «Resident Evil 7» gibt es bereits zwei rundum gelungene Zombie-Adrenalinkicks für VR-Enthusiasten. Nahezu aus dem Nichts tauchte nun «The Walking Dead: Saints and Sinners» auf, um ebenfalls ein Stück vom Kuchen für sich zu beanspruchen. Zu Recht, wie sich im Test zeigt, denn was Entwickler Skydance Interactive hier abliefert, ist schon jetzt einer der VR-Geheimtipps in diesem Jahr.
Bevor ihr euch ins modrige, von Untoten überrannte New Orleans stürzt, steht jedoch zunächst einmal ein Kennenlernen der Steuerung im Tutorial auf der Agenda. Die Macher halten sich dabei an mittlerweile bewährte Genrestandards, wodurch sich nicht nur VR-Kenner binnen weniger Minuten prima zurechtfinden.
Führt ihr beispielsweise eure rechte Hand an die linke Schulter, holt euer Alter Ego einen geräumigen Rucksack hervor. Der Bereich an der rechten Schulter ist dagegen schweren Waffen wie der Axt und dem Schrotgewehr zugeordnet. Leichte Kampfgeräte wie Pistolen oder kleine Stichwaffen verstaut ihr in zwei Holstern links und rechts eurer Hüfte. Ebenfalls komfortabel gemacht: Schräg links auf Gürtelhöhe seht ihr eine virtuelle Patronentasche. Einfach hineingreifen, schon habt ihr neue Munition in der Hand.
Die meisten Argumentationsverstärker können allerdings erst nachgeladen werden, wenn ihr zuvor das leer geschossene Magazin entfernt. Der dann folgende Nachladevorgang variiert je nach Waffe und fühlt sich – wie so vieles in «The Walking Dead: Saints and Sinners» – sehr realitätsnah an. Beim Revolver etwa steckt ihr alle sechs Kugeln einzeln in die Trommel, dicht gefolgt von einer lässigen 90-Grad-Drehung des Handgelenks. Bei der halb automatischen Schrotflinte drückt ihr zunächst die Patronen in den Lauf und macht die Waffe dann mit einer typischen Pumpbewegung einsatzbereit. Der Bogen wiederum muss – wie man es erwarten würde – erst einmal gespannt werden.
Doch nicht nur das realistische Waffen-Handling unterstützt die allgegenwärtige Immersion. Auch der Einsatz zahlreicher Items ist sehr überzeugend gelöst. Müesliriegel und andere Ausdauer-steigernde Lebensmittel führt ihr zunächst für einige Sekunden zum Mund, damit euer Held sie dann mit mehreren Bissen gierig verzehrt. Auch cool: Um Lebensenergie zu regenerieren, schnappt ihr euch eine Bandage aus dem Rucksack und wickelt sie mehrmals um euren linken Arm. Positiver Nebeneffekt dieser und anderer VR-Interaktionen: Ihr fühlt euch mittendrin statt nur dabei, was unterm Strich sogar die Anfälligkeit für Motion-Sickness reduziert. Uns jedenfalls wurde – abgesehen von der Introsequenz in einem Ruderboot – kein einziges Mal mulmig im Bauch.
Um dem gefürchteten Unwohlsein in VR vorzubeugen, sind darüber hinaus verschiedene Komfortfunktion aktiviert. Hierzu zählt neben Snap-Turning – also dem winkelweisen Drehen der Spielfigur – das bewährte Vignetting. Letzteres bewirkt, dass das Sichtfeld beim Fortbewegen an den Rändern unscharf wird.
Zombies, Gangs und geheime Bunker
Einmal das Tutorial abgehakt, fackelt «The Walking Dead: Saints & Sinners» nicht lange und wirft euch mitten hinein in eine sehr atmosphärische postapokalyptische Welt. Eine, die auf den Begebenheiten der «The Walking Dead»-Comics basiert, jedoch gleichzeitig eine eigene, nur fürs Spiel entworfene Geschichte erzählt.
Im Fokus steht das Schicksal eines Helden, der lediglich den Spitznamen «The Tourist» trägt. Drei Jahre nach dem Beginn der Zombiekatastrophe erreicht er die Südstaatenmetropole New Orleans. Das einst strahlende Juwel am Ufer des Mississippi ist aber nur noch ein Schatten seiner selbst. Überflutet von gigantischen Wassermassen und umzingelt von blutrüstigen Walkern, sind die wenigen Überlebenden drauf und dran, jede Hoffnung zu verlieren.
Hinzu kommt: Zwischen Tod, Chaos und langsam zur Neige gehenden Vorräten kämpfen zwei Fraktionen erbittert um die Macht über die Stadt. Auf der einen Seite steht die aktuell noch dominierende Gruppierung «The Tower», auf der anderen die überaus brutal agierenden Anhänger der «Reclaimed».
Zusätzliche Würze erhält die angespannte Ausgangslage durch ein Gerücht, das seit einiger Zeit in der Bevölkerung die Runde macht. Demnach soll es irgendwo in der Stadt einen versteckten Bunker aus der Zeit des Kalten Krieges geben. Versiegelt hinter dicken Stahltüren, sollen hier nicht nur Waffen und Medizin im Überfluss lagern, sondern auch tonnenweise haltbare Lebensmittel. Eure Mission: Eben diesen Bunker finden und seine Geheimnisse lüften, sofern die Legenden denn wirklich wahr sind.
Viele Wege führen nach Rom
Spielmechanisch resultiert dieses Grundgerüst in einer unterhaltsamen Mischung aus Erkunden, Puzzeln, Schleichen und Kämpfen. Die meisten Levels sind dabei so angelegt, dass stets mehrere Routen und Vorgehensweisen zum Ziel führen.
Gleich in der ersten Storymission zum Beispiel gilt es, den mutierten Ehemann einer verzweifelten Frau zu finden. Die Gute weiss, dass ihr Gatte bereits zu einem Untoten mutierte, und wünscht sich nun nichts sehnlicher als Frieden für die Seele ihres Mannes. Um ihrer Bitte nachzukommen, müsst ihr aber zunächst eine blaue Villa ausfindig machen und irgendwie in das Gebäude eindringen. Wie genau ihr dabei vorgeht, ist nicht vorgeschrieben. Wer Cryteks «The Climb» gespielt hat, könnte beispielsweise freihändig an einer der verschiedenen Regenrinnen des Hauses emporklettern und sich von dort ballernd einen Weg zum Dachboden bahnen, wo sich der zombifizierte Gatte aufhält.
Ihr seid nicht schwindelfrei und möchtet die Dinge etwas ruhiger angehen? Kein Problem: Durch eine kleine Öffnung am Seitenflügel des Gebäudes gelangt ihr zunächst unter die modrigen Holzplanken des Erdgeschosses. Von dort gehts dann übers Treppenhaus bis nach ganz oben – am besten schleichend, damit die überall herumschlurfenden Zombies euch gar nicht erst bemerken. Ebenfalls möglich: Ihr zerrt einige Propangasbehälter vor den Hauseingang, rennt ins Gebäude und lockt die dort versammelten Hirnfresser nach draussen. Jetzt noch den richtigen Moment abwarten, auf einen der Behälter feuern und das Empfangskomitee sagt gute Nacht.
Crafting ist der Schlüssel zum Erfolg
Doch egal welchem Pfad ihr nun folgt und für welchen Nicht-Spieler-Charakter ihr im Spielverlauf Aufträge erledigt: Um die Kampagne effektiv voranzutreiben, ist es unabdingbar, die Gegend ständig nach brauchbarem Loot abzusuchen. Radiowecker, Zigarettenschachteln, Aschenbecher, Holzscheite, Klebstoff, Gabeln, Schuhe usw.: Im virtuellen New Orleans wimmelt es nur so vor Sammelobjekten, die zunächst in euren Rucksack wandern und später im Lager durch Fallenlassen in einen Recycling-Papierkorb in ihre Einzelteile zerlegt werden. Eine witzige Idee, die einige sicher schon in ähnlicher Form aus dem «Prey»-Reboot kennen. Die so gewonnenen Rohstoffe wiederum bilden – die nötigen Rezepte vorausgesetzt – die Grundlage für selbst geschmiedete Waffen, praktische Heilobjekte und vieles mehr.
Um den Verwaltungsaufwand beim Craften möglichst gering zu halten, kam Skydance auf eine ziemlich pfiffige Idee. An einer Werkbank wählt ihr einfach das gewünschte Item aus, woraufhin das Spiel sofort die dafür benötigten Ressourcen anzeigt. Klickt ihr nun auf «Track», informiert euch das Spiel beim Betrachten eines jeden Gegenstands, ob dieser für das Rezept nötige Komponenten aufweist. Einziges Manko: Der eigentliche Crafting-Prozess ist bereits mit einem Tastendruck abgeschlossen. Zusätzliche VR-Interaktionen oder Minispiele, bei denen ihr beispielsweise Stacheldraht um einen Baseballschläger wickelt und dergleichen mehr, sind nicht vorhanden.
Auf die Technik kommt es an
Erkundung und Crafting dürfen in einem zünftigen Survival-Spiel nicht fehlen. Dass «The Walking Dead: Saints and Sinners» ein ziemlich rundes VR-Erlebnis geworden ist, hat aber noch andere Gründe, allen voran das vielschichtige, sehr physikalisch ausgerichtete Kampfsystem. So ist es hier etwa problemlos möglich, einen anrennenden Zombie mit der einen Hand am Kopf festzuhalten, während ihr ihm mit der anderen einen Schraubendreher durch die Schädeldecke rammt. Autsch.
Oder nehmen wir die Axt. Zwar könnt ihr diese auch mit einer Hand schwingen, dann allerdings leidet die Präzision enorm. Erst wenn ihr das Werkzeug mit beiden Händen stabilisiert, wird ein Schuh draus. Kleiner Tipp am Rande: Zielt immer auf den Kopf, speziell bei menschlichen Gegnern. Ignoriert ihr diese Taktik, besteht die Gefahr, dass der an sich schon als erledigt betrachtete Widersacher als Zombie wieder aufs Schlachtfeld zurückkehrt und euch noch einmal das Leben schwer macht.
Stichwort schwer machen: Jeder Tag in «The Walking Dead: Saints & Sinners» neigt sich irgendwann seinem Ende entgegen. Ist dieser Zeitpunkt gekommen, ertönt irgendwo in der Stadt eine laute Glocke, die die gefürchteten Walker in Massen anzieht. Wann genau es wieder so weit ist und wann ihr die Flucht in euren Wohnwagenunterschlupf antreten solltet, verrät die Digitaluhr an eurem Handgelenk. Natürlich könnt ihr euch auch dann noch in einem Missionsgebiet aufhalten. Die Gefahr, ins Gras zu beissen, steigt jedoch enorm. Was bleibt, ist ein weiterer gelungener Gameplay-Twist, der ein bisschen an die Nachtmechanik aus «Dying Light» erinnert und das ohnehin schon starke Bedrohungsgefühl nochmals steigert.
Trotzdem eine Warnung an VR-Einsteiger und Action-Neulinge: «Saints & Sinners» ist definitiv kein Sonntagsspaziergang und legt immer nur dann einen neuen Speicherpunkt an, wenn ihr im Wohnwagen geschlafen oder beim Erkunden der Welt ein neues Missionsgebiet erreicht habt. Stirbt man irgendwo auf dem Weg dazwischen, muss man den Abschnitt von vorn beginnen. Euer Loot ist allerdings nicht endgültig verloren, sondern schlummert in einem Rucksack an genau der Stelle, wo ihr gestorben seid. Gelingt es euch beim nächsten Anlauf, die Beute zurückzuerobern, gehört sie wieder euch. Schlägt auch dieser Versuch fehl, ist sie endgültig verloren.
Fazit
FazitPRO
- Erfreulich offenes Leveldesign
- Umfangreiche Crafting-Komponente
- Überzeugendes Waffen-Handling
- Komfortfunktionen vielseitig konfigurierbar
- Gelungene Grafik
- Kampagne dauert ca. 13 bis 15 Stunden
CONTRA
- Deutsche Synchro noch nicht implementiert
- Keine Mehrspielerkomponente
- Haltbarkeit vieler Waffen lässt zu wünschen übrig
- Speicherkonzept könnte Einsteiger frustrieren