Nintendo Labo im Test

Wir schreiben das Jahr 1997. Der Verfasser dieser Zeilen importiert sich aus den USA den zu diesem Zeitpunkt bereits gescheiterten «Nintendo Virtual Boy», da die Neugier alle Vernunft und Budgetüberlegungen über Bord gehen lässt. Mehr als 20 Jahre nach diesem kolossalen Fehlschlag will «Big N» es jetzt also wieder wissen, und schickt gleich mehrere Labo-VR-Kits ins Rennen. Sorgt die allseits bekannte Nintendo-Magie hier für Begeisterungsstürme gerade auch bei einem jüngeren Publikum, oder behalten die Zweifler recht, die etwa vor zu niedriger Auflösung und Framerate warnen? Wir haben einmal mehr gebastelt und uns in die neu erschaffenen Papp-VR-Erlebnisse gestürzt. Zudem wird in Kürze auch in den Mega-Sellern «Super Mario Odyssey» und «The Legend of Zelda: Breath of the Wild» VR-Funktionalität nachgerüstet. Ist das Ganze also auch was für hartgesottene Zocker? Hier erfahrt ihr es.

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Zu Beginn ist es wichtig, festzuhalten, wie «Labo VR» im Vergleich zu anderen VR-Lösungen dasteht. Denn natürlich darf man hier keine mehrere hundert Franken teure Technologie wie beim Oculus Rift, der HTC Vive oder PlayStation VR erwarten. Vielmehr beinhaltet dieses Kit mehrere unterschiedliche Halterungen zum selber Basteln (zusammen mit einer Linse, die das VR-Erlebnis ermöglicht). Diese sind dann, anders als etwa die meisten Smartphone-VR-Halterungen jeweils auf ein ganz bestimmtes Spielerlebnis ausgerichtet, und sollen das «Mittendrin»-Gefühl noch verstärken. Neben dem «Komplett»-Set für ca. 80 Franken, das wir getestet haben, gibt es auch noch ein Basis-Set für den halben Preis, das dann bei Bedarf und Gefallen um die restlichen VR-Toy-Cons erweitert werden kann.

Die verschiedenen VR-Toy-Cons

In diesem Abschnitt geben wir einen Überblick über die Inhalte und grundlegenden Features und Funktionen des «Nintendo Labo: VR Set». Unsere Spieleindrücke folgen dann im darauffolgenden Abschnitt.

Toy-Con-VR-Brille: Der grundlegendste und gerade für die, die auch gierig darauf schielen, Mario und Zelda in VR zu zocken, der wichtigste Bestandteil des Sets. Ihr bastelt hier eine mehr oder weniger gewöhnliche Halterung, in welche die Switch gesteckt werden kann. Die Joy-Cons bleiben dabei links und rechts am Gerät befestigt. Der Grund: Es gibt (wie auch bei den anderen VR-Toy-Cons) hier kein Kopfband oder ähnliches, ihr müsst auf diese Weise also die Switch und die VR-Brille an Ort und Stelle halten, damit sie nicht zu Boden fällt. In diesem Zustand lassen sich bereits einige virtuelle Mini-Games erleben. Die VR-Brille ist aber vor allem dazu da, sie in die folgenden Toy-Cons «stecken». So kommt das gesamte Set mit einem einzigen Linsenpaar aus, ihr müsst dies also nicht immer wieder mühsam ausbauen, wenn ihr ein anderes Toy-Con benutzen wollt. Stattdessen schnappt ihr euch einfach mit einem Griff den VR-Brillen-Einsatz, und schiebt ihn in die Kreation, die ihr als nächstes benutzen möchtet.

Toy-Con-Blaster: Diese Karton-Knarre bringt im Zusammenhang mit der Software einige echt coole Spielereien hervor. Ein Joy-Con wird seitlich am Blaster befestigt, während der andere sich gewissermassen im Lauf befindet. So werden eure Bewegungen getrackt, etwa in einem Modus, in dem ihr euch durch die Strassen einer Stadt bewegt, und ausserirdische Eindringlinge abschiessen müsst. Diese tauchen natürlich in allen möglichen Richtungen (also auch über euch) auf, und ihr macht so Gebrauch von den vollen 360 Grad von VR. Ein Papp-Pump-Mechanismus um nachzuladen, und natürlich ein Trigger zum schiessen werden erweitert durch die Möglichkeit, den linken Toy-Con zu kippen, womit in diesem Modus die Zeit angehalten wird. Mehrere Level inklusive Boss-Fights warten hier auf euch. Auch weitere Möglichkeiten, mit dem Blaster Spass zu haben, gibt es, inklusive der Möglichkeit, einen Zweispieler-Wettkampf mit Nilpferden zu veranstalten, in dem ihr die VR-Switch herumreicht.

Toy-Con-Windpedal: Ein Windpedal? Was soll man denn genau damit? Vom Prinzip her ist es erst einmal ähnlich konstruiert wie das Gaspedal aus dem bereits länger erhältlichen Labo-Fahrzeug-Set. Die Idee dahinter ist tatsächlich, dass ihr euch damit spürbar Wind zufächert. Ein Anwendungsbeispiel hier ist ein nettes Spielchen, in dem ihr als Frosch über heranfliegende Hindernisse hüpfen müsst, eben indem ihr auf das Pedal tretet. Und was fühlt so ein Frosch bei einem hohen Sprung? Genau, einen Windhauch. Irgendwie abwegig, aber irgendwie auch typisch Nintendo, eine solche Idee dann eben doch (erfolgreich) in die Tat umzusetzen.

Toy-Con-Camera: Da liegt die Idee einer VR-Kamera doch schon deutlich näher. Denn was macht man als «VR-Noob» als erstes? Genau, man schaut sich um und würde am liebsten die schönsten Momente festhalten. Und exakt das ist hier möglich. Wie wäre es zum Beispiel mit einem Tauchgang, auf welchem ihr die Unterwasserwelt und die sich dort befindlichen Tiere ablichtet? Aber auch hier zeigt sich die Kreativität, die Nintendo mit diesen Karton-Kreationen an den Tag legt. Denn das «Objektiv» vorne an der Kamera ist zwar natürlich aus Pappe, aber ihr konstruiert das Ganze dennoch so, dass sich das wie im „richtigen Leben“ drehen lässt. Dank geschickter Joy-Con-Platzierung erkennt die Switch das natürlich auch, und ihr könnt so rein- und rauszoomen, genial. Auch ein etwas ungewöhnlicheres Setting, in dem ihr in einem ziemlich verrückten Haus mit ebenso abgefahrenen Bewohnern Fotos schiesst und Missionen erfüllt, wartet nur auf euch und eure Kamera.

Toy-Con-Vogel: Doch zurück zu eher verrückten Kreationen. Oder habt ihr etwa schon einmal einen Karton-Vogel mit beweglichen Flügeln gebastelt und ihn euch vors Gesicht gehalten? Eben, dachten wir uns doch. Doch genau das bastelt ihr hier. Im Game spielt ihr dann als Vogel, der eine Inselgruppe erkundet, und sorgt mit euren Händen dafür, dass die Karton-Flügel immer schön in Bewegung bleiben. Habt ihr weitere Joy-Cons, könnt ihr übrigens auch eine Karton-Erweiterung anbauen, oder das Windpedal benutzen, um noch schneller zu fliegen. Inhaltlich wird hier auch einiges geboten, von Futter sammeln (welches an Küken verfüttert wird, die sich euch dann anschliessen) bis hin zu Flug-Parcours.

Toy-Con-Elefant: Ja, ihr habt richtig gelesen, auch einen Elefantenkopf samt Rüssel ist Teil des Labo-VR-Pakets. Allerdings haben die Gameplay-Anwendungen dann nicht unbedingt allzu viel mit Elefanten oder Rüsseln zu tun. So könnt ihr etwa den «Rüssel» als Farbschlauch benutzen, um ein festes 3D-Objekt zu erschaffen. Dazu zeichnet ihr es einfach in die Luft, fügte weitere Elemente hinzu und verziert es. Oder eine Version des Montagsmalers (kennt das noch jemand?) ist mit an Bord, in welchem ihr in VR etwas zeichnet, und dann die ganze Apparatur weiterreicht, und euer Mitspieler erraten muss, worum es sich handelt. Auch eine Reihe an Murmelbahn-Levels gibt es, bei der ihr Elemente greifen und an den richtigen Platz ziehen oder sonstwie eingreifen müsst, um die Murmeln sicher ans Ziel zu bringen.

Gameplay-Check

Das klingt ja alles schon mal ganz abwechslungsreich, doch funktioniert es auch und noch viel wichtiger, macht es auch Spass? Wir können beide Fragen mit einem deutlichen «JA» beantworten! Klar, optisch hat die Switch als VR-Vehikel ihre Limiten und andere VR-Lösungen haben ausgefeiltere Tracking-Systeme. Aber es ist wirklich unglaublich, was Nintendo hier zustande gebracht hat, und wie gut alles funktioniert. Und es gibt eben nicht nur Limiten, sondern durch das Bastel-Konzept auch ganz eigene Möglichkeiten. Wir waren auf jeden Fall freudig überrascht, wie spassig selbst einige der Mini-Games, die ohne grösseren Gameplay-Kontext daherkommen, sind. Das Erfolgsgeheimnis hier ist, dass all die verschiedenen kleinen Games für sich genommen Spass machen, auch wenn sie für sich genommen meist nicht viel Spieltiefe oder Langzeitmotivation besitzen.

Aber das brauchen sie ja auch nicht, da es so viele andere Sachen zu erleben gibt. Und während es durchaus einige glorifzierte Demos gibt, bei denen wirklich nicht viel Fleisch am VR-Knochen zu finden ist, so bieten etwa Games wie die bereits erwähnte Vogel-Insel-Erkundung oder die Kämpfe in Strassenschluchten mit dem Blaster durchaus Abwechslung und lassen einen so richtig in VR eintauchen. Klar, die Spielerlebnisse in Labo richten sich wie eh und je nicht an die wirklich hartgesottenen Zocker, sondern sollen auch jüngeren Kindern (so ab 7 Jahren) oder unerfahrenen Spielern (etwa der Freundin oder Verwandten) zugänglich sein. Und hier brilliert Nintendo. Denn klar, Oculus Rift und HTC Vive bieten genaueres Tracking und effektreichere und bessere Grafik. Aber gerade die recht simple (und dennoch charmante) Grafik sorgt hier dafür, dass man nicht wegen eines Effektfeuerwerks die Übersicht verliert, stattdessen konzentriert man sich aufs wichtigste. Und die Toy-Cons sind so ausgeklügelt, dass die genau darauf zugeschnittenen Gameplay-Erlebnisse einfach erstklassig funktionieren. Gerne hätten wir auch «Super Mario Odyssey» und «Breath of the Wild» schon ausprobiert, doch wird die Funktionalität hier erst in Kürze per Patch nachgereicht.

Dennoch, auch so hatten wir unerwartet viel Spass und waren beeindruckt, wie viel Inhalte geboten werden. Auch die Tatsache, dass VR eigentlich eine höhere Framerate verlangt, damit es (zumindest dem VR-ungeübten Zocker) nicht schlecht wird, wird so grösstenteils umgangen. Denn dieser Effekt setzt erst nach einer gewissen Zeit ein, aber die Labo-VR-Gadgets hält man sich nicht eine halbe Stunde am Stück vors Gesicht. Stattdessen wechselt man immer mal wieder von einer spassigen Beschäftigung zur nächsten und hat dazwischen Zeit, kurz durchzuschnaufen und auch seinen Augen und seinem Hirn eine kleine Pause zu gönnen.

Wie schon bei den bisherigen Labo-Sets besteht auch hier wieder ein nicht zu unterschätzender Teil der Unterhaltung darin, zuerst einmal alles zusammenzubauen. Es macht einfach Spass, mit seinen eigenen Händen (und allenfalls denen des Juniors) etwas doch recht komplexes zu erschaffen. Die interaktiven Anleitungen sind dabei wie gewohnt absolut erstklassig. Die VR-Brille als Basis-Ausstattung ist dabei in knapp 45 Minuten zusammengebaut. Die anderen Toy-Cons benötigen irgendwo zwischen einer und drei Stunden, wobei der Blaster hier die aufwändigste aller Gerätschaften darstellt. Insgesamt werdet ihr acht bis zehn Stunden benötigen, um alles zusammenzubauen. Das klingt erstmal nach extrem viel, doch erstens macht das Basteln wirklich Spass, und zweitens müsst ihr ja nicht alles am Stück zusammenbasteln, sondern könnt nach jedem Erfolg wenn ihr wollt erstmal wieder in neue VR-Erlebnisse eintauchen mit dem neuen Toy-Con. Wie bei anderen Labo-Sets dürft ihr euch zusätzlich auch noch in der «Toy-Con-Werkstatt» austoben. Diese lässt euch eigene kleine VR-Erlebnisse erschaffen, indem ihr Regeln und Verknüpfungen in einem visuellen Programmier-Tool erstellt. Zwar hat das durchaus seine Limiten, ist aber im Kern dafür auch für jüngere Labo-Fans verständlich aufgebaut. Dennoch braucht es natürlich einiges an Durchhaltevermögen und Einarbeitung, um wirklich etwas unterhaltsames damit zu erstellen.

Abschliessend lautet unser Fazit, dass Nintendo uns mit «Labo VR» voll und ganz überzeugt hat. Die vielen, vielen kleinen und auch einigen etwas umfangreicheren VR-Experiences sind einfach mit enorm viel Herzblut gemacht, und ermöglichen gerade für Neulinge einen wunderbaren, gelungenen Einstieg in die virtuelle Realität. Ja, natürlich sind viele Welten in teureren VR-Headsets viel detaillierter und somit auch «realistischer». Aber Nintendo hat es einmal mehr geschafft, aus (technisch) wenig das Maximum herauszuholen und die besonderen Stärken des eigenen Produkts so richtig glänzen zu lassen. Jedenfalls hatten auch wir als inzwischen alte VR-Hasen hier unerwartet viel Spass.

 

 

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