Manche Spieletitel muss man sich einfach auf der Zunge zergehen lassen: «Déraciné» stammt aus dem Französischen und bedeutet so viel wie «Die Auferweckte». Wer jetzt annimmt, dass dieser fast schon poetische Name sicher auf ein europäisches Entwicklerstudio hinweist, der irrt. Das VR-Abenteuer «Déraciné» kommt nämlich von niemand Geringerem als von Hidetaka Miyazaki, dem kreativen Kopf hinter der «Dark Souls»-Reihe persönlich. Sein Entwicklerstudio FromSoftware beschäftigt sich nämlich mit weitaus mehr, als nur mit den tausend kreativsten Möglichkeiten, unbescholtene Spieler in den Wahnsinn zu treiben.
Die Geister, die ich rief
Die «Dark Souls»-Macher gehen ins Internat: Statt bockschwerer Bosskämpfe schlägt das exklusiv für Playstation VR erhältliche Abenteuer «Déraciné» leise Töne an. «Déraciné» jedenfalls hat mit «Dark Souls» in etwa so viel zu tun wie «Super Mario» mit «Battlefield V». Das exklusiv für die Playstation VR erhältliche VR-Adventure erinnert mitunter mehr an Story-Adventures wie «Life is Strange» oder «Dear Esther» als manchem vielleicht lieb sein mag. Hektik und Action gibt es hier nicht, dafür aber wohligen Grusel und eine Atmosphäre, die man förmlich mit dem Messer schneiden kann.
In «Déraciné» seid ihr eine solche feenhafte Erscheinung und «spukt» durch die Gänge eines Internats. Allerdings könnt ihr nicht direkt mit den dortigen Bewohnern interagieren. Sie nehmen euch nicht wahr oder spüren höchstens die Anwesenheit eurer Präsenz. Die einzige Möglichkeit, wie ihr als Geist mit den Lebenden interagieren könnt, ist durch die Manipulation von Gegenständen.
Wie von Geisterhand
«Déraciné» erfordert nicht nur die Playstation VR, sondern auch zwingend zwei Move-Controller. Sie verwandeln sich im Spiel in eure Hände, mit denen ihr Objekte aufheben und manipulieren könnt. Wie üblich hängt die Präzision der Steuerung stark von den äusseren Bedingungen ab: Gerade ein heller Raum verringert bei den Move-Controllern die Präzision. Aber selbst bei optimalen Voraussetzungen fühlt sich diese Steuerung längst nicht so exakt an, wie bei vergleichbaren Systemen. Trotzdem ist „Déraciné“ jederzeit gut kontrollierbar, was nicht zuletzt an dem gemächlichen Tempo liegt.
Im Gegensatz zu anderen, exklusiven PSVR-Titeln wie «Farpoint» oder dem schaurigen «Persistence» gibt es keine Optionen, mit deren Hilfe ihr euch frei durch das Internat bewegen könnt. Vielmehr springt ihr von einem Fleckchen zum nächsten und arbeitet euch so mit Sprüngen durch die langen Gänge. Seine ganz spezielle Atmosphäre gewinnt das Spiel allerdings durch einen andere Twist. Als Hausgeist befindet ihr euch nicht in der gleichen Dimension wie die Bewohner des Internats und genau deshalb steht die Zeit still, während ihr durch Treppenhäuser, Gärten und Keller schleicht.
Zeitreise ins Wachsfigurenkabinett
Wenige Zeit nach dem Start von «Déraciné» geschieht ein Unglück und ihr erhaltet den Auftrag dieses rückgängig zu machen. Während storylastige Spiele wie «Dear Esther» fast vollständig auf Rätsel verzichten und den Fokus auf die Geschichte, Charaktere und Emotionen legen, möchte «Déraciné» in seinem Herzen ein traditionelles Adventure sein. Das stört tatsächlich die einzigartige Atmosphäre. Im Verlauf reist ihr zurück in der Zeit, um die Geschehnisse aufzuklären. Wenn ihr bestimmte Rätselketten gelöst habt, verändert ihr so die Vergangenheit. Dass das aber nicht immer die Lösung aller Probleme bedeutet, wissen wir spätestens aus «Zurück in die Zukunft» oder aus «Butterfly Effect».
Trotzdem zieht euch «Déraciné» schnell in seine Welt herein. Gerade die zu Salzsäulen erstarrten Menschen, die förmlich in ihrem Allzug eingefroren wurden, bilden eine ganz eigene Kulisse. Und während anfangs noch alles recht harmlos und brav daher kommt, zieht «Déraciné» später auch düstere Saiten auf. Dennoch gibt es einige Schwächen: Das Rätseldesign basiert grösstenteils auf Sammelaufgaben. Wir rennen also zu Punkt A, suchen dort nach Hinweisen und Gegenständen und gehen danach zu Punkt B. An dieser Stelle kommt die nicht ganz unproblematische Steuerung ins Spiel: Die Wege sind vergleichsweise lang und so erkauft sich «Déraciné» seine für einen VR-Titel lange Spielzeit mit jeder Menge Rennerei und gelegentlichen Frustmomenten.
Vergessen wir nämlich irgend etwas, müssen wir natürlich wieder zurück. «Déraciné» besitzt ein eher gemächliches Tempo und gewinnt seinen Reiz letztlich daraus, dass man sich zwischendurch Zeit lässt, um die Stimmung und das Drumherum zu geniessen. Die Playstation VR leistet dabei gute Dienste: Die Umgebung und die Menschen wirken herrlich plastisch und so erzeugt das Abenteuer den Eindruck eines Besuchs im Wachsfigurenkabinett. Ob euch das gefällt, hängt stark von euren persönlichen Ansprüchen an. Wer gerne alternative Spielerfahrungen sucht, der wird hier – trotz Designmacken – auf jeden Fall fündig.
Fazit
FazitPRO
- Einzigartiges Setting
- Tolle Kulisse für ein VR-Spiel angenehme Spielzeit von fünf bis sechs Stunden
- Interessantes Erzählkonzept – trotz fehlender Konsequenzen
CONTRA
- Spielerisch schlecht ausbalanciert
- Lange Wege
- Für Move Controllers gewohnt fummelig