Die Oculus Quest, die seit dem 21. Mai erhältlich ist, hat alles drin und kommt komplett ohne Kabel aus. Das hatten wir zwar schon bei Vorgängern wie der autarken Oculus Go und den Handy-Brillen wie denen von Samsung. Doch ganz im Gegensatz zu den weniger perfomanten Smartphone-Systemen, ist die Oculus Quest die erste All-in-One-VR-Brille, die nicht nur drei, sondern sechs Bewegungsachsen erfasst, was ein nahezu vollwertiges Mittendrin-Erlebnis ermöglicht. Doch es kommt noch besser: Nicht nur ein Handcontroller, sondern gleich zwei Handcontroller sind mit im Gepäck. Zudem vermag der schnelle Snapdragon-835-Chipsatz durchaus grafisch opulente Szenen auf die Brillen-Displays zu zaubern. Das einsetzbare Smartphone wird definitiv obsolet. Doch was taugt das ganze Packet? Hier der Test.
Eine VR-Brille ganz ohne Kabel: die Oculus Quest. (Bild: Simon Gröflin)
Sehr einfache Einrichtung und geschmeidige Bewegungsverfolgung
Der Hauptunterschied zu den bisher bekannten Smartphone-Brillen ist die Gegebenheit, dass diese nur Kopfdrehungen und -neigungen erkennen können, aber keine Bewegung des ganzen Körpers. Für ein überzeugendes VR-Erlebnis, und um der Übelkeit zu entgegnen, ist eine genaue Abtastung von Körper und Händen jedoch extrem wichtig. Das geschieht hier über die frontseitig eingebauten Fisheye-Kameras. Diese erinnern stark an das Inside-Out-Tracking der Windows-Mixed-Reality-Brillen. Der Nachteil ist das etwas ruckelige Tracking, wenn ihr euch schnell bewegt oder mit einem Controller etwas ausserhalb der Erfassungslinse hantiert.
Ein paar Worte zur Thema VR am PC: Bei der Standard-Oculus-Rift erzielt man zwar mit den zwei Kamerasensoren, die links und rechts vom Monitor platziert werden, ein etwas genaueres Gefühl beim Controller, jedoch ist eine präzise Bewegungsverfolgung im Raum nur mit drei Sensoren für gut bis sehr gut möglich. Nach wie vor ungeschlagen, dafür aufwändiger, ist die punktgenaue Abtastung der Controller und Kopfbewegungen mit den ausgeklügelten, jedoch aufwändig einzurichtenden Laserstationen der HTC Vive. Die Oculus Quest schneidet beim Tracking erstaunlich gut ab. Insbesondere bei Körperdrehungen und Ducken kam es nie zu Aussetzern, auch die virtuellen Raumgrenzen verharrten im Gegensatz zum Windows-Mixed-Reality-System, bei dem ich oft Rekalibirierungsprobleme hatte, stets an Ort und Stelle.
Und der Tragekomfort? Im direkten Vergleich zur PC-Rift wirkt die Oculus Quest fast voluminöser und etwas breiter, aber dieser Eindruck täuscht. Die Abmessungen der Oculus Quest ist auch im Vergleich zur Oculus Go praktisch identisch. Besonders gefällt uns das weichere Gummimaterial des Kopfgürtels. Anpassen und ausrichten lässt sich dieses ebenfalls über drei Headstraps. Facebook legt wie bei der «Go» einen Abstandshalter für Brillenträger bei, den ich persönlich gar nicht gebraucht habe.
Von links nach rechts: Oculus Go, Oculus Rift CV1 und Oculus Quest. (Bild: Simon Gröflin)
Bei der Oculus Rift (CV1) habe ich als stark kurzsichtiger Mensch bis heute Mühe, mit meiner Sehhilfe unter die VR-Brille zu schlüpfen, weswegen ich manchmal auf eine ältere Sehkorrektur ausweiche, um meine eigene nicht seitlich zu zerdrücken. Dasselbe Problem habe ich bei den Windows-Mixed-Reality-Brillen von HP, Acer und Medion, einmal abgesehen von der fehlenden Möglichkeit, einen meinen grossen Augenabstand mechanisch festzulegen. Der Tragekomfort wurde bei der Oculus Quest aus unserer Sicht sehr perfekt auf eine breite Spielermasse mit verschiedenen physischen Kopf- und Augendimensionen ausgelegt. Das ist top!
Auch die Oculus Quest kommt in einer edlen Verpackung. (Bild: Simon Gröflin)
Grenzen ziehen – auch um die Blumenvase herum
Nachdem ihr – wie bei Gear VR und Oculus Go – eure Quest mit einer Smartphone-Companion-App und somit mit dem WLAN-Zugang eures Heimnetzwerks gekoppelt habt, werdet ihr gleich aufgefordert, mit einem Controller Raumgrenzen auf dem Boden einzuzeichnen. Dazu müsst ihr nicht einmal das Headset absetzen. Eure Umgebung wird euch in Schwarzweiss über die Kameralinsen eingeblendet, sogar die Bodenhöhe wird von der Kamera wie ein Gitternetz gerastert, damit ihr nur noch die Grenzen um euer virtuelles Spielfeld ziehen könnt. Wow! Das hatten wir so noch nicht bei einer Ersteinrichtung. Die Steuerungseinheiten erinnern stark an an die Touch-Controller der Oculus Rift, sind aber vom Gewicht her viel leichter und nicht ganz so hochwertig verarbeitet. Die Ringe mit den Erfassungspunkten zeigen jedoch gegen euer Headset und nicht gegen unten, was mit der Kameraerfassung zu tun hat. Ihr betreibt die beiden Hand-Controller mit je einer handelsüblichen Triple-A-Batterie (mitgeliefert), was je nach Einsatz für schätzungsweise gut zehn Spielstunden (oder mehr) ausreicht. Nachladbare Akkus sind zu empfehlen.
GIF-Quelle: youtube
Damit ihr nicht über euer Sofa oder das Fernsehtischchen stolpert, empfiehlt es sich, zuerst ein wenig Platz zu schaffen. Witzig: Beim Erfassen des «Guardian», eurer virtuellen Raumgrenzen, werdet ihr nicht zwingend in gradlinige Zonen gedrängt. Wenn zum Beispiel der schwere Blumentopf an einem ungünstigen Ort steht, wird eine Grenzkurve um das Objekt unter Umständen so belassen. Dennoch solltet ihr natürlich ein möglichst freies Spielfeld haben und nicht zu viele Kurven einlegen.
Linsen, «Sweetspot» und grafische Unterschiede
Statt LCD kommen bei der Quest wie bei der Rift und der Vive OLEDs zum Einsatz. Diese haben mit 1440 × 1600 Pixel statt 1080 × 1200 Pixeln pro Auge sogar eine leicht höhere Auflösung als bei der Standard-Vive der ersten Generation und der Oculus Rift CV1. Besonders gut gemacht ist übrigens der Erklärungsassistent. Um den optimalen Augenabstand und den «Sweat Spot» zu ermitteln, werden euch vertikale und horizontale Rasterlinien eingeblendet, bei denen auch Anfänger gleich verstehen, wie sie das VR-Headset optimal ausrichten, damit der Fokus stimmt. Der Augenabstand lässt sich hier wie bei der Standard-Rift und Vive (Pro) über einen mechanischen Pupillenabstand regeln. Dieser reicht von 58 bis 72 mm: grosszügig genug. Die Linsenqualität ist ebenfalls gut. Zwar stört uns ein wenig der grosse Lichteinlass bei der Nasenöffnung, doch konnten wir nur wenige «God Rays» respektive Lichtschimmer auf den Linsen ausmachen.
Breite Auswahl an Spielen, jedoch noch wenig Exklusives
Zum Start erhältlich sind etwa 53 Oculus-Quest-Spiele, einige sind auch als sogenannte «Cross-Buy»-Angebote zu haben. PC-Portierungen wie «Robo Recall» oder «Apex Construct» müsst ihr nicht noch einmal kaufen, wenn ihr sie schon einmal im Oculus Store gekauft habt. Neu erwerben müsst ihr beispielsweise «Beat Saber», «Job Simulator» oder «Superhot VR». Das hat sicher auch mit dem Zusatzaufwand der Umsetzungen zu tun. Zum Glück gibt es auch zahlreiche Demos von vielen Titeln.
Sehr viel Spass bereiten uns Klassiker wie «Beat Saber», «Superhot VR» – oder auch das neue «Journey to The Gods» mit dem gewissen «Mittendrin»-Gefühl einer schönen Celshade-RPG-Umgebung wie bei «The Legend of Zelda: The Wind Waker» – ganz ohne Kabel. Das macht ordentlich Laune, besonders weil Aktionen wie Armbrustschiessen und Schildabwehr mit der kabellosen Steuerung sehr gut harmonieren. Hier eine kleine Auswahl meiner persönlichen Favoriten:
Eine ausführliche Liste zu allen Spielen, die ihr nicht noch einmal kaufen müsst, verschaffen euch die Kollegen von UploadVR.
Was die Grafik anbelangt, so bemerkt man bei einigen Spielen, die es auch für den PC gibt, durchaus Abspeckungen; aber auch erstaunlich gute Portierungen fallen auf. Lediglich bei «Robo Recall» habe ich mich gefragt, ob nur ich mich mit der etwas trüben Sichtweite schwertue, da der Detailverlust im Vergleich zur Rift-Version deutlich wahrnehmbar ist. Bei anderen bekannten Titeln wie «Moss», «Space Pirate Trainer» und «Beat Saber» musste ich schon genauer hinschauen. Die Games für das portable VR-Headset sind trotz teilweise fehlender Partikel- und Lumineszenzeffekte für einen ARM-basierten Smartphone-Chipsatz sehr gelungen.
Etwas flach und leise fällt der Klang der Lautsprecher aus, ähnlich wie bei der Oculus Go. Ihr könnt aber problemlos über eine rechts- und linksseitige 3,5-mm-Klinkenbuchse Kopfhörer anschliessen. Etwas schade, kommt die Facebook-«Konsolen-Brille» ohne ausklappbare Audioheadsets (wie bei der Oculus Rift) aus, was vielleicht für einem Händlerpreis von ca. 499 bzw. 599 Franken (64 GB bzw. 128 GB, gesehen bei digitec.ch) noch ein nettes Add-on gewesen wäre.