Test: Medion Erazer X1000 MR Glasses

Microsofts Startschuss zum «Günstig-Eintritt» in die virtuelle Welt hat länger gedauert. Die frühen Gehversuche der noch mageren «Mixed Reality»-Plattform – ganz ohne komplizierte Einrichtung für die fast freie Bewegung im Raum – überzeugen jedoch grösstenteils. So ist zumindest das Medion Erazer X1000 MR inzwischen bei Onlinehändlern wie digitec.ch bereits an Lager. Am meisten gefreut hat mich aber, dass der Hersteller mir ein Testgerät für eine Woche ausgeliehen hat. So konnte ich nun endlich Windows Mixed Reality einmal in Ruhe für einige Tage austesten und auch Inhalte direkt mit der HTC Vive und Oculus Rift vergleichen.

In Microsofts Medienmitteilungen hat bisher immer so geklungen, als würden zum Start des Herbstupdates von Windows 10 und der neuen Mixed-Reality-Plattform auch sämtliche Windows-VR-Brillen der Hardware-Partner verfügbar sein. Die Realität sieht aber «gemixt» aus. Nicht einmal Acer oder HP konnten mich frühzeitig mit einem Testsample beliefern. Es kommt noch besser: Das Dell Visor beispielsweise kommt gemäss Hersteller nicht in die Schweiz und das technisch bessere Samsung Odyssey mit Amoled-Displays ist vorerst nicht für Europa vorgesehen. Und wenn ich Lenovo letzthin an einem Meeting richtig verstanden habe, will man das «Lenovo Explorer» nur einmal so «langsam» einführen, weil man nicht gleich zu grosse Stückmengen auf alle Märkte loslassen möchte. Ausserdem liefert HP nun erst Mitte November. Da erstaunt es nicht, wenn auch die Onlinehändler verunsichert sind, ob und welche Produkte sie aufnehmen sollen.

Die Versionen von Lenovo, Dell, Acer und HP lassen auf sich warten.

 

Was taugt Medions Erazer MR Glasses X1000?

Medion zufolge ist das Erazer MR Glasses X1000 für rund 500 Franken von der Bauweise her in Prinzip identisch zum Lenovo Explorer. Tatsächlich verfügt die kompakte und nur 380 Gramm leichte Brille über denselben Klappmechanismus. Das ist praktisch: Man kann den vorderen Teil jederzeit um 90 Grad nach oben klappen, um etwas aus der realen Umgebung zu erspähen. Rein technisch spielt es übrigens keine Riesenrolle, mit welchem MR-Headset ihr unterwegs seid. Bis auf Samsungs Odyssey sind alle MR-Brillen mit derselben Technik ausgerüstet. Unterschiede gibt es da eher beim Tragekomfort. Medions Helm sitzt aber ziemlich gut.

Angeschnallt wird er über eine Stellschraube und getragen wie eine PlayStation VR. Auch die Polsterung des Kopfgürtels ist bequem. Zu meinem Erstaunen passt man auch mit einer breiten Brille noch knapp rein, ohne die Gläser des Headsets zu berühren. Als Brillenträger hat man nur einen Nachteil: Aufklappen von unten kann gefährlich sein, weil das zu stark auf die Bügel drückt. Ausserdem drückt es unter Umständen mit einer Sehkorrektur etwas stärker auf die Nasenregion, denn genau dort ist eine leichte Engstelle. Ansonsten gefällt mir persönlich die Polsterung und die eher neutrale Verarbeitung – ohne zu krasse Schriftzüge und leuchtende Farben.

Was man leider nicht bei allen MR-Units und auch bei Medion nicht vorfindet, ist ein physischer IPD-Regler, um die Augenabstände der Linsen einzustellen. Vielleicht gehöre ich zufällig noch in die Kategorie Mensch mit einem Durchschnitts-Augenabstand, den viele Artgenossen haben. Warum kann das ein Manko sein? Wer noch nie eine VR-Brille getragen hat oder dies zum ersten Mal tut, wird schnell feststellen, dass es einen gewissen «Sweetspot» im VR-Sichtspektrum gibt. Und sobald sich die Pupillen nicht im Zentrum der beiden Displays befinden, werdet ihr unter Umständen auf einem Auge ständig ein wenig unscharf sehen. Das kann auf die Dauer Kopfschmerzen verursachen, wenn man das Headset sehr lange trägt. Etwas Fein-Tuning der IPD offerieren zum Glück die Windows-Einstellungen.

Das Ding mit dem Ring

Die mit einem LED-Ring versehenen Controller erinnern an eine Mischung aus Oculus Touch und HTC Vive. An beiden Griffen gibt es einen Windows- und einen seitlichen Button, dazu auf beiden Einheiten einen Zeigefinger-Trigger-Knopf und auf beiden Vorderseiten ein klickbares Touchpad sowie einen Analogstick und eine Menütaste. Mir persönlich gefallen die Controller, bis auf ein paar Details, ziemlich gut. Sie liegen leicht in den Händen und der seitliche Knopf geht nicht so auf die Fingermuskeln wie bei den Vive-Controllern. Bloss, warum um alles in der Welt hat sich Microsoft mit den Herstellern auf ein Referenz-Design mit Batteriefach geeinigt?

Der Nachteil: Man braucht für beide Controller je zwei Triple-A-Batterien, und die können schon nach acht bis zehn Stunden leergelutscht sein. Wiederaufladbare Akkus und ein Ladegerät gehören also schon einmal zum Pflichtkauf. Was man sonst noch leicht kritisieren kann, ist die etwas elastische Konstruktion des Tracking-Rings. Wenn ich mir vorstelle, wie oft ich schon mit meinen Vive-Controllern auf eine Wand eingeschlagen habe, bleibt da bei einer Kollision nicht viel übrig. Allerdings wird man bei der Bewegung im freien Raum auch nicht viel weiterkommen als bei einer HTC Vive.

Microsofts Markting-Unding

Nun, was ist denn eigentlich «Mixed Reality»? In Wahrheit steht der Begriff für die Verschmelzung von Augmented und Virtual Reality. Für den professionellen Einsatz hat Microsoft seine HoloLens für sogenannte Augmented Reality im Programm, über die gleichzeitig die reale Umgebung sichtbar bleibt. Nach Definition der Microsoft-Marketing-Abteilung befänden aber alle VR-Headsets in der Mixed Reality, die über Positionstracking-Elemente verfügen, auch wenn diese keine Objekte der realen Umgebung in die VR bringen, also beispielsweise ein anders Sofa oder einen anderen Stubentisch. Klare Grenzen zieht jedoch Microsoft bei VR-Gestellen für Smartphones, die über keine Möglichkeit verfügen, den realen Raum zu erfassen. Somit würden, strenggenommen, auch HTC Vive, PSVR und Oculus Rift in die Kategorie der MR-Headsets fallen. Ein ziemliches Durcheinander also, das da Microsoft mit einem neuen Begriff stiftet.

Systemanforderungen

Genauso verwirrend sind die Systemanforderungen zu Windows Mixed Reality. Als minimale Anforderung nennt Microsoft einen sparsamen Intel Core i5 7200U (Dual-Core) der siebten Generation, 8 GB DDR3-RAM, dazu entweder eine integrierte Intel HD Graphics 620 oder eine dedizidierte DirectX-12-Notebook-Grafikkarte ab Nvidia GeForce GTX 965M. Sowohl ich als auch Medion glauben nicht, dass für die absolut niedrigsten Anforderungen nur eine Intel-Grafiklösung (HD Graphics 620) ausreicht. Wir wollen ja nicht Tetris in der VR spielen. Für grafisch aufwendige Spiele reicht das jedenfalls nicht, vor allem nicht für eine Headset-Framerate von 90 Hz. 60 Hz ist einfach nichts! Davon wird euch in grafisch fordernden Experiences eher übel, falls ihr mit einem schwächeren System einmal im Windows Store die zungenbrecherische Beschreibung «Windows Mixed Reality Ultra PCs» überlesen habt. So überrascht es auch nicht, dass Microsoft bei den höheren Anforderungen zu ähnlicher Hardware wie bei der Oculus Rift und HTC Vive rät. Eine Nvidia GeForce GTX 960 oder eine AMD RX 460 gehört da jedenfalls mindestens zur Grundausrüstung.

Mit dieser App könnt ihr übrigens prüfen, ob euer PC ready ist für Windows Mixed Reality.

Einfache Einrichtung, wenn alles klappt

Die eigentliche Einrichtung ist sehr simpel. Zwingend notwendig ist das neuste Update von Windows 10 (Fall Creators Update). Wer einen stationären PC sein Eigen nennt, sollte zudem für die VR-Controller einen Bluetooth-4.0-fähigen USB-Dongle bereithalten. Ein solcher befindet sich nicht im Lieferumfang. Wenn das Setup mit der Mixed-Reality-Portal-App zickt und die Brille kein Signal ausgibt, kann das verschiedene Ursachen haben. Wichtig ist ausserdem die Wahl eines USB 3.0 Ports.

Ausserdem sollten natürlich idealerweise auch Chipsatz- und Grafikkartentreiber auf dem neusten Stand sein. Und ja: Trennt euch besser von zu vielen USB-Geräten wie dem Vive-Böxchen. Ausserdem wollte meine GeForce GTX 980 Ti Strix von Asus nie das HMD-Signal richtig ausgeben, wenn ich gleichzeitig meinen Zweit-Monitor über DisplayPort-Kabel in Betrieb hatte. Erst im HDMI-only-Betrieb mit dem Headset gabs die Probleme nicht mehr. Das kann eine Ausnahme sein. Offenbar hatten schon Entwickler vereinzelt Probleme mit GTX-980-Ti-Karten auf der Mixed-Reality-Plattform, während es beispielsweise mit der GTX 1080 keine Probleme gibt.

Windows Mixed Reality erfordert nur einen HDMI-1.4- und einen USB-3.0-Anschluss.

Virtuelle Gitterwände

Bei der Einrichtung wählt man, ob man nur sitzen will oder sich im Raum mit mehreren Quadratmetern bewegen möchte. Microsoft empfiehlt eine Raumgrösse von 2 × 1,5 m. Dazu hat auch das Kabel mit ca. 3,8 Metern gerade noch gereicht. Wie bei anderen Headsets streckt man den VR-Helm mit der Fisheye-Kamera hier zuerst in Richtung des Bildschirms und begeht die virtuellen Grenzlinien. In der VR werden dann Grenzen auch wie Matrix-Gitterwände eingeblendet. Offenbar ist es wichtig, dass der Raum nicht völlig abgedunkelt ist, weil sonst die Kamera die Umgebung nicht richtig erfasst und das Mixed-Reality-Portal ständig wieder zur Neueinrichtung auffordert.

Tracking und Ergonomie

Bei einer Pro-Augen-Auflösung von 1400 × 1400 Pixeln haben die Windows-MR-Lösungen zwar die Nase leicht vorn (bei HTC Vive und Oculus Rift sind es 1080 × 1200 Bildpunkte), jedoch nicht bei der Display-Technik. Im Gegensatz zu den OLED-Panels der Oculus Rift und HTC Vive setzen WMR-Headsets (bis auf die Variante von Samsung) auf normale LCD-Panels. Normalerweise ist OLED in der VR immer die erste Wahl, weil dadurch bessere Schwarzwerte und sattere Farben möglich sind und weniger Schlieren auftreten. Allerdings sollen wesentliche Verbesserungen der LCD-Technik wie das sogenannte «Impulse Backlighting» diesen Schlierenbildungen entgegenhalten. Ich bin erstaunt, dass die Bildqualität insgesamt bei Medion doch recht gut ausfällt, selbst die üblichen seitlichen Lichtschimmer, die man auf den Fresnel-Linsen erwarten würde, waren nicht allzu sehr präsent.

Das geringere Sichtfeld macht sich jedoch bei horizontalen Kopfbewegungen bemerkbar, wenn man zum Beispiel in dem Drohnen-Shooter «Space Pirate Trainer» schnell in einer 180-Grad-Kopfbewegung von der einen Seite zur anderen schaut. Wie soll ich das beschreiben? Man hat dann so eine Art leichten Tunnelblick, als hätte man ein paar Bier zu viel getrunken. Bei der Farbgenauigkeit kommt das MR-Headset auch nicht ganz an die guten Schwarzwerte der OLED-Konkurrenz heran.

Beim Tracking der Handcontroller, die gänzlich ohne zusätzliche Sensor-Stäbe oder Laserstationen auskommen, gibt es schon einen Nachteil: Sobald man die Controller nicht allzu lange im Sichtfeld des Headsets bewegt, verlieren sie nach sieben bis acht Sekunden die Bewegungsverfolgung. In dem Wüsten-Zombie-Shooter «Arizona Sunshine» schwebt dann auf einmal eine Hand irgendwo in der Luft herum. Das kann zeitweise ein bisschen lustig aussehen, aber auch bei zeitkritischen Aktionen zu kleineren Verzögerungen führen. Grösstenteils bin ich trotzdem sehr positiv überrascht, wie gut das «Low-Budget-VR» von Windows 10 funktioniert.

Es fehlen noch richtige Anwendungen

Leider gibt es im Store bis jetzt noch nicht sehr viele nennenswerte Apps. Wer in Microsofts Software-Laden nach «Mixed Reality» sucht, findet gegen 21 Spiele, davon viele, die man schon von der Vive und Oculus kennt – wie die Unterwassersimulation «theBlu» und ein paar Animationsfilme wie «The Rose and I». Grafisch sehr gut hat mir eigentlich «Halo Recruit» gefallen, aber viel mehr, ausser ein paar Zielscheibenübungen, hat die kurzweilige Simulation leider nicht zu bieten. Was ich eher vermisse, sind mehr «echte Anwendungen» wie holografische Zeichnungs- oder Modellierungsprogramme. Bis dahin ist es offenbar noch ein weiter Weg. Trotzdem wird es für Spieler bis Weihnachten spannend, weil bis dann auch Steam VR integriert sein könnte. Die Macher des «Revive Mods» haben ausserdem schon in Aussicht gestellt, dass der Software-Trick für Oculus-Home-Spiele in Zukunft auch auf den Windows-MR-Brillen funktionieren könnte.

https://youtu.be/0AWhsBNU1jU

Man kann übrigens Medions VR-System zurzeit auch ausprobieren in der neuen eSports Bar eParadise in Zürich Altstetten.

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