Sibylle Bergs neuer Roman «RCE. #RemoteCodeExecution» ist jetzt auch ein Erlebnis in 360°.
Die Literatur hat die Virtuelle Realität für sich entdeckt. Die VR Brille versetzt Lesende mitten hinein in fantastische Romanwelten. So wird man zur Bergschen Romanfigur, die nicht mehr unterscheiden kann «zwischen dem Leben im Netz und Real Life». Sibylle Berg macht mit ihrem neuen Roman «RCE. #RemoteCodeExecution» keine Lesereise, sondern stellt ihn, für Nerds geeigneter, als virtuelle «Performance» in den Wohnzimmern ihres Publikums vor.
Der neue Roman von Sibylle Berg ist nicht weniger als ein Weltrettungsplan. Das beste aller Systeme hat wenigen zu absurdem Reichtum verholfen und sehr vielen ein menschenwürdiges Dasein genommen. Die Krise der Normalzustand: Inflation, Seuchen, Naturkatastrophen, Diktatoren, Kriege. Die Lage scheint ausweglos. Doch fünf Hacker haben noch nicht aufgegeben.
An Chipstüten vorbei blickt man auf die Bildschirme junger Hackerinnen. Man wird Teil eines hochglänzenden Unternehmens und lässt sich von Menschen – wenn sie denn nicht längst durch Avatare ersetzt worden sind – in orangen Ganzkörperanzügen zur Selbstoptimierung anspornen. Am OP-Tisch schneidet später eine grossbusige Frau einen Leib auf, tauscht Gedärm und Herz gegen Disketten. Eine halbe Stunde dauert der Film.
Literatur wird zur Rundumunterhaltung
Bei klassischen Filmen ist der Bildausschnitt gesetzt. Auf 360 Grad kann das Publikum jedoch überall hinsehen – auch in die «falsche» Richtung. 360 Grad machen es einem leicht, wegzusehen – praktisch etwa bei der schauerlichen Szene im Operationssaal.
Gestalterisch schöpft das Regieteam um Sibylle Berg, und unterstützt vom VR Kollektiv «Cyber Räuber» das technisch Mögliche aus. Vom Sessel oder noch besser drehbaren Bürostuhl aus gibt es rund um die eigene Achse einiges zu entdecken, die Überraschung sitzt, wörtlich, im Nacken. Und wer nach unten blickt, wird sich gar in einem neuen, immerhin gut genährten, Körper im schlecht sitzenden Anzug wiederfinden.
Eine Erzählung löst sich, durch die VR-Brille betrachtet, von ihrer linearen Abfolge und ist mehr räumliche Erfahrung, mehr atmosphärischer Eindruck, denn eine dramaturgisch komplexe Chronologie.
Die Szenen um einen herum sind prominent besetzt mit Katja Riemann, Olli Schulz und Faber. Und natürlich liest Sibylle Berg höchst selbst.
Sibylle Berg ist nicht die erste, die Literatur in die virtuelle Realität trägt. Ein Projekt der Medienkünstlerin Sarah Elena Müller, von welchem wir berichteten machte 2020 aus Ilse Aichingers «Meine Sprache und ich» eine poetische Traumlandschaft und auch Klaus Merz’ «Los» gibt es in 360 Grad, wie unser Bericht zeigt.
Quelle: Sibylle Berg / bzbasel / Youtube