Die von Benito Weise, Mitarbeiter am Landwirtschaftlichen Bildungszentrum der Landwirtschaftskammer (LWK) Niedersachsen in Echem, erfundene Virtual Reality Kuhbrille ist an diesem Donnerstag, 1. Oktober, mit dem 3500 Euro dotierten 2. Platz des Digitalisierungspreises Agrar und Ernährung des Landes Niedersachsen ausgezeichnet worden.
Wie sagt man so schön? Eine Kuh macht muh viele Kühe machen Mühe. Wie die Welt aus der Sicht von Kühen aussieht, konnte man sich vor dem Virtual Reality Zeitalter nur schwierig vorstellen. Seit es die aus Niedersachen stammende sogennante Kuhbrille gibt, geht das ganz einfach. Nun hat das Projekt, das wir bereits im Mai letzten Jahres vorgestellt haben, einen Preis abgeräumt.
Kühe besser verstehen
Die Kuhrille ermöglicht den Anwenderinnen ein Im-Moment-Sehen, ein visuelles Wahrnehmen der aktuellen Umgebung wie eine Kuh. «Wir können nur unsere Lebenswelt sehen», erklärt Martina Weber, Geschäftsführerin des Landwirtschaftlichen Bildungszentrums (LBZ), dem Aus- und Weiterbildungszentrum für Tierhaltung der LWK, «die Tiere nehmen diese Welt aber ganz anders wahr».
Die Kuhbrille ermöglicht einen unglaublichen Aha-Effekt. Zum Beispiel, wenn die Kuh vom Stall nach draussen tritt – und ein paar Sekunden lang erst mal stehen bleibt und nicht weiterlaufen will. Denn die Adaption, also die Anpassung der Augen an die Helligkeit, dauert bei den Tieren deutlich länger als bei uns Menschen. «Unsere Lehrgangsteilnehmerinnen, die dieses Gefühl temporärer Blindheit selbst erlebt haben, bekommen ein viel grösseres Verständnis für das Verhalten einer Kuh», berichtet Martina Weber.
Wie alles begann
Benito Weise, der am LBZ die überbetriebliche Ausbildung koordiniert und 20 Jahre Berufserfahrung in der Aus- und Weiterbildung hat, hat sich in den vergangenen Jahren insbesondere mit dem Thema Tierwohl befasst. Er suchte nach neuen didaktische Ansätzen, die Tierhaltenden einen etwas emotionaleren Zugang zu dem Tier ermöglichen. Das Thema Sehfeld einer Kuh fesselte ihn, weil er merkte: Wenn man sich damit nicht gut auskennt, entstehen stressige, auch gefährliche Situationen. Anfang 2016 kamen immer mehr VR-Brillen und dazugehörige Spiele auf den Markt. Benito Weise dachte: «Das wäre ja klasse, wenn man eine Kamera hat, die das Sehfeld aufnimmt, und eine Technik, die es in Echtzeit umbaut…» Die Idee zur Kuhbrille war geboren.
Es folgte ein Literaturstudium, wie Weise es nennt, um herauszufinden, was zu jenem Zeitpunkt überhaupt schon an entsprechender Technik auf dem Markt war. Im November 2016 wusste der Diplom-Agraringenieur, dass seine Idee zwar rein technisch umsetzbar wäre – es war ihm allerdings keine Kamera bekannt, die dazu in der Lage gewesen wäre. Auf einer internationalen Optikmesse für Kamerasysteme in Stuttgart, auf der er sich umhörte, stellte der 49-Jährige fest: Sobald die Messeaussteller merkten, dass sein Vorhaben keine sonderlich hohen Umsätze generieren würde, verloren sie das Interesse. Aber durch eine zufällige Bekanntschaft, die Weise dort mit einem Berliner Firmeninhaber machte, kam wenige Wochen später der Kontakt zur Firma Befort Optik in Wetzlar zustande: Diese entwickelte eine Kamera, die mit zwei Weitwinkelobjektiven das Sehfeld von Rindern aufnehmen kann. Software-Entwickler Peter Menzel von der Firma C.O.M. Wetzlar ermöglichte, dass die Aufnahmen mit den Eigenarten der Kuhoptik verknüpft und auf die VR-Brille projiziert werden. Inzwischen hat Peter Menzel neben der Softwareentwicklung auch die Fertigung der Kameras und den Vertrieb übernommen. Die LWK ist an den Lizenzverkäufen für die Software beteiligt.
Peu a peu räumte Benito Weise einen technischen Stolperstein nach dem anderen aus dem Weg – und das waren viele. Kammerdirektor Hans-Joachim Harms setzte sich dafür ein, dass das Vorhaben nicht aus finanziellen Gründen scheitert.
Auch in der Schweiz im Einsatz
Kurz nach der Präsentation auf der EuroTier im November 2018, der weltgrössten Fachausstellung für Tierhaltung und -management in Hannover, war die Kuhbrille serienreif. Die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft kaufte gleich fünf Exemplare, fast alle Lehr- und Versuchsanstalten der einzelnen Bundesländer folgten – manche von ihnen erwarben sogar zwei. Am LBZ Echem selbst stehen beide Ausführungen der VR-Brille zur Verfügung: Es gibt eine Pro-Version mit sehr lichtempfindlichen Sensoren sowie eine weniger lichtempfindliche, dafür leichtere, kostengünstigere und energiesparendere Version. Auch international wächst die Popularität der Erfindung aus Echem: Die Kuhbrillen kommen bereits in Österreich und der Schweiz zum Einsatz, Nachfragen erreichen das LBZ außerdem unter anderem aus Neuseeland und China.
Benito Weise, der längst daran tüftelt, die Kuhbrille um die akustische Wahrnehmung einer Kuh zu erweitern, freut sich sehr über den Digitalisierungspreis. Auch soll bald eine Pferdebrille auf den Markt kommen.
Quelle: uelzener-presse