HTC Vive Pro im Test

Seit gut zwei Wochen ist die HTC Vive Pro erhältlich. Diese bietet jetzt eine Auflösung von insgesamt 2880 × 1600 Pixeln auf zwei OLED-Panels oder 1440 × 1600 Pixel pro Auge. Das sind knapp 80 Prozent mehr Bildpunkte als bei der ersten HTC Vive. Mit der höheren Pixeldichte will man vor allem dem typischen VR-Gitternetz-Effekt entgegenwirken. Zum Vergleich: Beim Vorgänger und bei der Oculus Rift waren es bislang nur 1080 × 1200 Pixel pro Auge. Der Haken: Wer sich die Vive Pro bestellt, bekommt nur das nackte Headset. Controller und Sensoren, also die beiden Lighthouse Base Stations, sind in dem Paket nicht enthalten. Erst Ende Jahr sollen verbesserte Tracking-Sensoren erscheinen, die dann gleich zehn Quadratmeter statt wie bislang nur maximal fünf Quadratmeter erfassen können. Ob einem Upgrader die höhere Auflösung mehr wert ist als ein Last-Minute-Trip für sieben Tage in die Karibik, müssen Hardcore-VR-Spieler schon sehr genau abwägen. Denn die aktuelle Edition ist klar eher für Entwickler und VR-Arcade-Betreiber ausgelegt. Aber ein Genuss ist die Nachschärfung schon. Doch eins nach dem anderen.

Links im Bild: die neue HTC Vive Pro

Vielseitige Verstellbarkeit

Der Lieferumfang ist schnell erklärt: Bis auf ein paar Stickers und ein grosses Poster mit dem Link zum Download der Software, ist nichts Weiteres in der Schachtel enthalten als die Vive Pro und das neue Anschlussböxchen. Besonders angetan sind wir von der vielseitigen Justierbarkeit der Upgrade-Brille. Ähnlich wie bei der PlayStation VR kann man jetzt die Kopfposition dank des gepolsterten Tragegürtels und über eine Stellschraube fixieren. Der vordere Teil des Head Mounted Displays (HMD), in dem sich die Linsen befinden, lässt sich über einen unterseitigen Knopf um vier bis fünf Zentimeter ausfahren, damit VR-Displays und Brillengläser nicht aneinandergeraten. Dadurch hat man es noch leichter, einen guten «Sweetspot» zu finden. Gut gefällt auch der rückseitig gepolsterte Kopfgürtel, der sich sogar nach oben ausklappen lässt, damit man leichter den virtuellen Welten entfliehen kann. Glaubt man zuerst, die Vive Pro sei leichter als der Vorgänger, wird einem spätestens beim Tragen die bessere Ausbalancierung der ca. 550 Gramm schweren VR-Last bewusst, denn eigentlich sind beide Vives ungefähr gleich schwer.

Ohne Bass kein Spass

Von guter Noise-Cancelling-Qualität zeugen die ausklappbaren Stereo-Kopfhörer, die man jetzt wie bei der Oculus Rift direkt am Tragegürtel vorfindet. Abgesehen von dem etwas billigen Kunststoff der Ohrpolster hat mich die Bassdurchdringung nicht sehr überzeugt. Ist man man sich klanglich besseres Mittelmass wie die On-Ear-VR-Soundlösung des Turtle Beach 350VR für unter 200 Franken gewöhnt, will man das Erbe der neuen HTC-Mitgift ungerne antreten. Da gibt es schon für unter 200 Franken besseres Audio-Zubehör wie Sonys PS4-Wireless-Platinum-Headset, welches die Ohren hinsichtlich Tiefgang mit einen viel dichteren Klangteppich umgarnt. Die ausklappbaren Vive-Kopfhörer könnt ihr übrigens über zwei innere Torx-Schrauben entfernen. Eine Wireless-Sound-Lösung wird dann aber Pflicht.

Kennen wir auch von der PlayStation VR: die rückseitige Stellschraube

Keine Klinke mehr

Warum aber der Hersteller jetzt schon den Klinkenanschluss wegrationalisiert, löst bei mir nur Kopfschütteln aus. Zwar ist ein Schritt in Richtung «Wireless VR» unabwendbar und auch begrüssenswert. Aber solange die VR-Wandergehilfen auf dem Kopf noch schwer und klobig sind, kommt es aus meiner Perspektive im Moment auf einen Anschluss mehr oder weniger nicht an. Sorry, auch die Hersteller der Windows-Mixed-Reality-Brillen und Sony bieten nahezu unauffällige Lösungen für die alte Klinke, sei es über den Lautstärkeregler oder direkt über den vorderen Part des Headsets wie zum Beispiel bei HP.

Inbetriebnahme

Wer zum ersten Mal eine HTC Vive installiert, braucht ein wenig Geduld. Es kann sein, dass gleich alles rund läuft. Es kann aber auch sein, dass die Treiber-Software oder ein USB-Port des Motherboards für Erkennungsfehler sorgen. Dann heisst es: Ruhe bewahren, den PC einmal neustarten oder eine andere Anschlussbuchse probieren. Hat man schon eine HTC Vive in Betrieb, ist die Installation sehr simpel. SteamVR findet die Brille automatisch und aktualisiert in wenigen Sekunden den Treiber. Ihr müsst auch die virtuellen Raumgrenzen nicht neu beschreiten. Wichtig: Die neue HTC Vive Pro wird wegen der höheren Auflösung nicht mehr über HDMI, sondern über DisplayPort angeschlossen. Gut also, wenn die Grafikkarte nicht nur einen DisplayPort-Anschluss für den 4K-Monitor bereithält. Daumen hoch: Das neue Anschlussböxchen zwischen der Vive Pro und PC hat jetzt eine Powertaste spendiert bekommen, damit sich die Brille auch im Standby ausschalten lässt.

Rechts: das neue Anschlussböxchen der HTC Vive Pro

Weniger Kabel

Auch gut: Während bei der Standard-Vive noch drei Signalkabel aus dem HMD prangten, gibt es jetzt nur noch ein Brillenkabel mit einem proprietären Anschlussstecker. Zwar hat HTC schom beim Vorgänger die drei Signalkabel in einem kompakten Dreierstrang belassen. Aber wenn man den Bündel nicht hie und da wieder «entschlängelte», drohten schnell einmal VR-Sturzflüge. Bis es eine neue kompatible Wireless-Funklösung wie TPCast gibt, müssen wir uns noch einige Monate gedulden. Intel hat schon am IDF 2014 in San Francisco gross angekündigt, dass der drahtlose Signalstandard WiGig im Zuge neuer Prozessoren bald sämtliche Signalkabel bei den PCs obsolet machen werde. Das war wohl damals noch etwas zu euphorisch gemeint, wird aber sicher irgendwann auch im PC-Bereich mit einer höheren Frequenztechnik möglich. Spannend wird es nun aber, weil HTC zusammen mit Intel im Rahmen einer Kooperation speziell für VR an einer WiGig-basierten Lösung tüftelt, denn bei Virtual Reality ergibt es wirklich Sinn, endlich ein gutes Drahtlos-System zu entwickeln. Das Zubehör wird in diesem Jahr noch nachgereicht.

Die HTC Vive Pro hat nur noch ein Kabel, über das man stolpern kann. 

Mehr Schärfe aus nah und fern

Schärfere Schriften und Objekte werden besonders auf nahe und mittlere Distanz deutlich wahrnehmbar. Auch in meinem Lieblings-Blödel-Shooter «Serious Sam: The Last Hope» waren die Feinde und die grünen Rauchbomben auf einmal viel klarer zu erkennen. In dem luftleeren Drohnenshooter «Space Pirate Trainer» habe ich den Unterschied zu den Windows-Mixed-Reality-Brillen nicht gleich ausmachen können, weil schon die LCD-basierten Windows-VR-Headsets eine höhere Auflösung bieten als die erste HTC Vive und Oculus Rift. Ein paar Pixel mehr lösen da selbst auf OLED-Basis kein «Poah»-Effekt aus. Daher: Es kommt darauf an, was ihr spielt! Schnelle und grafisch nicht so aufwendige Titel wie «Audioshield» oder auch ältere SteamVR-Minispiele werden euch nicht eine völlig neue grafische Dimension katapultieren.

Alles in allem ist die Vive Pro der ersten Vive aber klar überlegen. Von den Grafikmuskeln her stemmte zunächst auch eine ältere GeForce GTX 980 Ti die meisten Spiele noch problemlos in den Standardeinstellungen. Will man aber beispielsweise bei dem Puzzle-Adventure «Heart of The Emberstone» von den neuen 4K-Texturen der Entwickler profitieren, ruckelts bereits mit älteren Nvidia-Karten der 9er-Serie. Nvidia selber empfiehlt mindestens eine GeForce GTX 1070. Dazu gehört auch ein schneller Vierkern-Core-i7- oder -i5-Prozessor. Die einzelnen Pixel und die durch den Fresnel-Linsenschliff bedingten Lichtschimmer sind aber nach wie vor erkennbar.

Was noch kommt

Richtig spannend: Die HTC Vive Pro besitzt im Unterschied zur aktuellen HTC Vive nicht nur eine Kamera, sondern gleich zwei Objektive auf der Vorderseite. Über das erst seit wenigen Tagen freigegebene Vive SRWorks SDK bekommen Programmierer nicht nur die Bildinformationen, sondern erhalten auch Zugriff auf Tiefeninformationen, um beispielsweise Objekte in den Vordergrund und Hintergrund zu platzieren sowie die Möglichkeit, über das Hand-Tracking mit den virtuellen Objekten zu interagieren. Die HTC Vive Pro wird damit zu einer Augmented-Reality-Brille. Was hat man davon als Spieler? Wahrscheinlich noch keine ultimative Killer-Apps, aber es werden wohl bis Ende Jahr noch einige coole Projekte zu sehen sein.

Valve arbeitet zudem seit 2016 an einem Oculus-Touch-Pendant. Bei den «Valve Knuckles» handelt es sich um eine Gestensteuerung, die über den Handrücken befestigt wird und deren Steuerungselemente (Trackpad, Buttons) sich auf der Hand-Innenseite befinden. Durch das genaue Vive-Tracking lassen sich nämlich sämtliche Fingerbewegungen erfassen. Die ersten Kits befinden sich seit ca. Herbst 2017 bei den Entwicklern. Wann die Vive-Touch-Controller auf den Markt kommen, ist wie bei den SteamVR-2.0-Tracking-Stationen noch etwas ungewiss. Man kann darauf tippen (oder hoffen), dass das vielleicht Ende Jahr der Fall sein wird.

Das verbesserte SteamVR-2.0-Tracking der Vive-Laserstationen der nächsten Generation wird voraussichtlich ebenfalls erst Ende Jahr marktreif. Daher kann der Wohnungsvertrag für die neue VR-Loft-Wohnung vielleicht noch ein wenig warten. Spass beiseite. Die neuen Lighthouse Base Stations werden dank überarbeiteter Drehmotoren (hoffentlich) auch weniger fehleranfällig sein. Wer nämlich Pech hatte, hat vielleicht bei der ersten Generation tatsächlich schon einmal einen DOA (Dead on Arrival) erlebt. Die neuen Tracking-Stationen werden dann aber definitiv von der Pro-Vive unterstützt, vom Vorgänger vermutlich nicht mehr.

 

Das Testgerät wurde mir freundlicherweise von Digitec.ch zur Verfügung gestellt. Hier könnt ihr die HTC Vive Pro bestellen.

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