Test: The Inpatient

Seid ihr verrückt oder bildet ihr es euch nur ein? «The Inpatient» von Supermassive Games spielt 60 Jahre vor den finsteren Ereignissen des Survival-Horror-Abenteuers «Until Dawn». Es spielt aber keine Rolle, wenn ihr den 2015 erschienenen PS4-Titel des britischen Entwicklerstudios nicht kennt. Ihr habt sowieso nur wenige Erinnerungsfetzen und könnt nicht einschätzen, was gerade um euch geschieht. Was bietet sich da mehr an als eine gespenstische VR-Erfahrung?

Irrungen, Wirrungen

Kleine Entwarnung: Das PSVR-Abenteuer ist nicht ganz so furchteinflössend, wie man zuerst meinen könnte, aber ihr werdet einigen Jump Scares und muffigen Mutanten begegnen. Es geht allerdings weniger um eure Selbstverteidigung oder ums Davonrennen: «The Inpatient» verfolgt bei der Spielmechanik einen völlig anderen Ansatz, der eher dem Genre des interaktiven Films zuzuordnen ist. Wie bei «Heavy Rain» und dem bald erscheinenden PS4-Neo-Thriller «Detroit: Become Human» trefft ihr, basierend auf eurer Gefühlslage, Entscheidungen, welche den Spielverlauf und das Spielende einer Story beeinflussen.

Sagt es mit euren eigenen Worten

In den ersten Minuten des Spiels seid ihr an einen Rollstuhl gefesselt. Mit dem Gamepad oder dem PS4 Move Controller habt ihr zunächst kaum Einfluss auf das Spielgeschehen. Stattdessen werden euch auf Fragen immer zwei verschiedene Antworten eingeblendet, auf die ihr sogar mit Sonys PS4-Sprachsteuerung antworten könnt, indem ihr die eingeblendeten Antwortmöglichkeiten nachplappert. Das funktioniert erstaunlich gut.

Neue Ereignisse treten jedoch nicht ein, wenn ihr einmal eine Frage wie «Warum bin ich an den Stuhl gefesselt?» mit mürrischem Ton oder lautem Gebrüll beantwortet. Je nach Szene geht es nämlich nur immer um die Entscheidung zwischen zwei Gemütslagen wie «energisch» oder «freundlich» und «traurig» oder «glücklich». Nicht immer prägen diese Antworten den späteren Spielverlauf. Wenn ihr länger nicht reagiert, scheint sich das System für eine der Antworten zu entscheiden. Seid ihr im Dialog geradlinig, flammt ein Schmetterling auf, der zu bekunden scheint, dass gerade eine wichtige Entscheidung getroffen wurde.

Komfortable VR-Erfahrung

Besonders beeindrucken Mimik und Gestik der Akteure, obwohl sich die Entwickler auch einige der vielen ähnlichen Antwortmöglichkeiten hätten sparen können. Mit der Zeit dürft ihr euch dann aber doch frei im Raum bewegen, Gegenstände aufheben und verschiedene Schalter betätigen. Die Steuerung mit dem PS4 DualShock Controller funktioniert nach dem klassischen Full-Locomotion-Prinzip. Dabei könnt ihr euch in angenehmen 40-Grad-Drehungen in alle Richtungen fortbewegen. Gewöhnungsbedürftig ist allerdings die Steuerung mit den PS4-Move-Stäben. Zwar wirken eure Handbewegungen dadurch realistischer, aber etwas diffus daran ist das Zielen, weil man mit dem LED-Leuchtball beim Gehen die jeweiligen Himmelsrichtung anpeilt. Das wirkt ein bisschen wie ein Point-and-Click-Adventure aus den Neunzigerjahren. Türklinken oder den Lichtschalter drückt ihr dagegen öfters mittels Heben und Senken der Lagesensoren des DualShock Controllers.

Sitzend oder stehend

Insgesamt hätte man die Immersion mit ein paar grafischen Tricks zusätzlich auf eine höhere Stufe hieven können. In Survival-Horror-Abenteuern wie «Resident Evil 7» verstärken die nach vorne dringenden Hände mit sanften Animationen den Eindruck des Mittendringefühls. Die Entwickler liessen mich auf Anfrage wissen, dass die Erfahrung sowohl sitzend als auch stehend gespielt werden kann. Offenbar sollte man sich dazu jeweils vor Spielstart fürs Stehen oder Sitzen entscheiden und nicht erst nach einer Pause zur anderen Position wechseln. Sollten ihr euch also auf einmal wie ein zweiköpfiger Riese fühlen, der sich durch viel zu kleine Türen quetscht, lag es nur daran, obwohl andere Titel wie «Batman Arkham VR» mit einer höheren Kameraposition für beiderlei Betrieb meistens keine Probleme bereiten.

Glasklarer 3D-Sound und schöne Details

Den Entwicklern geht es aber weniger um die Steuerung, sondern eher um eine dichte Atmosphäre. Das 3D Audio der PSVR kommt bei den Dialogen besonders gut zum Ausdruck, auch wenn man nicht die teuersten High-End-Kopfhörer an Sonys VR-Klinkenbuchse angeschlossen hat. Durch die Gehörgänge dringt jedes Knarzen, während die Stimmen der guten Sprecher aus allen Richtungen präzise hörbar sind. Denn manchmal muss man in endlos langen Gängen obskuren Geräuschen nachgehen, um weiterzukommen, wenn man aufblinkende Hinweise wie Türgitter oder Wandtafeln nicht auf Anhieb findet.

Nicht nur die detaillierten Charaktere mit ihren realistischen Gesichtszügen und Schatten tragen zum Psycho-Erlebnis bei, sondern auch die feintexturierten Wände und Säulen des grossen Gebäudekomplexes im späteren Spielverlauf. Denn ihr befindet euch während der ganzen Amnesie nicht nur in einem Zimmer der Irrenanstalt, sondern wollt ja auch irgendwie entkommen. Aber dazu will ich nicht zu viel verraten.

Drei Stunden Spielspass

Nur so viel: Wer das «The Inpatient» am Stück durchwandert und sich schnell von den Jump Scares erholt (es sind nur wenige), verbringt gut drei Stunden in dem Abenteuer. Das Gute daran: Ihr werdet den Titel aufgrund der möglicherweise unterschiedlichen Story-Endings der beiden Hauptcharaktere vielleicht auch ein zweites oder drittes Mal durchspielen. Bis jetzt hat es uns kurz vor dem Release erst zu einem Durchgang gereicht. Aber die Lust auf eine zweite Runde mit der weiblichen Insassin ist vorhanden, denn auch in einer heruntergekommenen Psychoklinik teilt man sich schliesslich nur gerne die Zelle mit einer Insassin desselben Geschlechts.

«The Inpatient» von Supermassive Games ist ab Mittwoch für Fr. 39.90 im PSN Store erhältlich.

 

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