Der Schweizer Professor Bruno Frey wirbt dafür, hyperrealistische Kopien beliebter Reiseziele zu bauen und hat dazu ein Buch geschrieben.
«Wir brauchen ein zweites Venedig,» meint der Schweizer Professor Bruno Frey. Dabei geht es nicht wie bei vielen derzeitigen Lösungen darum, Venedig jetzt während der Corona Pandemie zugänglich zu machen. Es geht um den sogenannten normalen Übertourismus. Er meint, dass man genau jetzt die Zeit nutzen sollte, um einen schonenderen Tourismus zu entwerfen. Venedig ist nur ein Beispiel.
Und ein sehr gutes denn, an manchen Tagen überrannten 130.000 Besucher die Altstadt. Pro Jahr waren es teils über 30 Millionen Touristen. 1949 waren es erst weniger als eine halbe Million. Gleichzeitig ist die Zahl der Anwohner auf heute nur noch rund 50.000 gesunken. Der Wohnraum wird unbezahlbar teuer, die Lebensqualität sinkt, aber auch der Erlebniswert der Besucher.
Zuviel des Guten
Obwohl Tourismus natürlich viel Geld bringt, hat es definitiv auch seine Kehrseiten. Kultureller Übertourismus ist das neue Schlagwort für von Touristen extrem stark frequentierte und damit überfüllte historische Sehenswürdigkeiten, Museen und Städte. Die negativen Auswirkungen gelten dabei sowohl für die kulturellen Orte als auch für die dort lebenden Menschen. In Reaktion darauf wird vermehrt protestiert und Kulturträger und Bürgermeister ergreifen zunehmend Massnahmen, um den Touristenstrom zu begrenzen.
Frey: Die Tourismusindustrie ist einer der weltweit am rasantesten wachsenden Sektoren der Wirtschaft, die Zahl der Besucher Europas wird von etwas über 500 Millionen Personen im Jahre 2010 auf rund 850 Millionen im Jahre 2030 steigen. Aber die Wertschöpfung nimmt nicht im selben Masse zu. Der überbordende Tourismus geht einher mit immer kürzeren Besuchszeiten, in den letzten 20 Jahren hat sich die Aufenthaltsdauer um 15 Prozent verringert. Dieser Turbotourismus ist wirtschaftlich, ökologisch und psychologisch nicht nachhaltig.
Der digitale Zwilling
Bruno Frey geht in seinem Buch der Frage nach: Ist dies das Ende einer “Kultur für alle”? Er schlägt im Gegenteil eine Erweiterung des Angebotes als «Neue Originale» vor: Die wichtigsten Monumente werden an einem geografisch geeigneten Ort identisch kopiert. Ergänzend werden den Besuchern mithilfe digitaler Informationstechnologien sprich Augmented und Virtual Reality inklusive Hologramme Geschichte und Kultur der Orte nahe gebracht.
Angrenzende Hotels, Restaurants und Läden bieten die notwendige begleitende Infrastruktur. Auf diese Weise kann der Touristenstrom zwischen den ursprünglichen und den «Neue Originale» verteilt werden. Diese Idee wird mit seinen organisatorischen und ökonomischen Herausforderungen skizziert und von bestehenden Disneyland-Konzepten abgegrenzt. Gerade für Familien mit Kindern und allgemein kulturell interessierte Personen – also für die grösste Zahl der Besucher – können dies sehr attraktiv sein.
Quelle: der Spiegel / Kulturmanagement